Der Erdrutsch (German Edition)
anderen waren fast alle Oberstufenschüler
oder schon Studenten, den einen oder anderen kannte Carla. Sie grüßte
immer wieder. Paul brauchte einige Zeit, um sich zu orientieren. Ganz
offensichtlich war dies eine private Party. Die meisten schienen sich
untereinander zu kennen. Getränke gab es in einem der Räume hinter
einer Theke. Die Musik war hier ruhig, etwas zu gedämpft für seinen
Geschmack. Aber das gefiel ihm. Sie holten sich jeder ein Bier, bevor
sie die anderen Räume erkundeten. Die Stimmung im nächsten Raum war
ausgelassen. Hier wurde laut geredet, gelacht und gescherzt. Es war
relativ hell, bunte Lampen tauchten die Gesichter in absurde Farben.
Sie traten durch einen kurzen, vollkommen dunklen Flur und gelangten
danach in einen Raum, dessen Wände Paul nicht sehen konnte;
lediglich ein paar Kerzen befanden sich in der Mitte auf einem
niedrigen Tisch, ihr Licht reichte aber kaum bis zu den ersten
Menschen, die offenbar auf Polstern und Kissen saßen. Teppiche, die
jedes Geräusch schluckten, bedeckten den Fußboden. Die Leute
unterhielten sich leise, die Stimmung war entspannt, die Luft war
geschwängert von Zigarettenqualm und dem intensiven Aroma von
Haschisch. Paul konnte nicht erkennen, wieviele Menschen hier saßen;
es konnten fünf oder zehn sein. Vielleicht auch mehr. Vorsichtig
tastete er sich mit Carla bis zu der Türöffnung am anderen Ende des
Raumes vor, die sich etwas heller an der Wand absetzte. Wieder gingen
sie durch einen kurzen Gang, offenbar gingen sie im Kreis, genau
konnte Paul das aber nicht ausmachen, denn er hatte die Orientierung
verloren. Im dritten Raum war es wieder heller und sie setzten sich
zu einer Gruppe von Studenten, die Carla kannte.
Paul langweilte sich bald, bemühte sich aber, Carla das nicht merken
zu lassen. Dem Gespräch konnte er nicht folgen, denn es ging um
Literatur, um Kunst. Er versuchte interessiert auszusehen, aber das
gelang ihm offenbar nicht, denn nach einer Weile nahm Carla ihn an
der Hand und zog ihn mit sich fort. Sie gingen wieder in einen
dämmerigen Raum, durch eine Tür, die er nicht bemerkt hätte, wenn
Carla sie nicht geöffnet hätte. Er hatte, bedingt durch die
Dunkelheit, das Bier, die Haschischschwaden, die mittlerweile durch
alle Räume waberten und nicht zuletzt durch die andauernde
Verwirrung in seinem Kopf, jegliche räumliche Wahrnehmung verloren.
Er hatte den Eindruck, immer noch weiter in die Tiefen des Hauses
einzudringen. Hinter der Tür befand sich wieder ein kurzer Flur,
auch dieser war nur durch eine winzige Lampe schemenhaft erhellt.
Carla ging auf eine weitere Tür zu, öffnete sie und schob Paul vor
sich hinein. Sie befanden sich in einer Art Abstellraum. Langsam
gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Kisten und Koffer
standen wild durcheinander. An den Wänden reihten sich Regale auf,
die mit Büchern, Akten, Nippes und Bildern vollgestopft waren. Eine
dicke Staubschicht bedeckte alles. Ein paar Stühle, zum Teil nur mit
drei Beinen, befanden sich in der einen Ecke, während die
gegenüberliegende Wand von einer durchgesessenen Couch dominiert
wurde.
Zu genau dieser bugsierte Carla ihn, wobei er schon ahnte, was als
nächstes auf ihn zukommen sollte. Und es machte ihm irgendwie Angst.
Er wollte Carla etwas sagen, er wollte ihr deutlich machen, dass er
noch nie … Aber da hatte sie sich bereits auf das Sofa gesetzt und
zog ihn zu sich herunter. Keiner von beiden sprach ein Wort. Pauls
Rücken schmerzte plötzlich. Carla begann ihn zu küssen. Was sollte
er jetzt tun? Verzweiflung stieg in ihm auf. Er bemerkte, wie er
immer mehr verkrampfte. So sehr er sich auch bemühte, dagegen an zu
kämpfen, es gelang ihm nicht. Nach einer Weile kapitulierte Carla.
Sie knöpfte sich die Bluse wieder zu, die er zwar geöffnet hatte,
in die hereinzugreifen er aber vollkommen vergessen hatte. Carla
stand auf. Sie strich sich die Hose und die Bluse glatt.
„ Tja,
Paul, ich glaube, ich habe die Wette verloren. So ist dann wohl das
Leben.“
Sie drehte sich um und verließ den Raum. Lautlos fiel die Tür ins
Schloss. Paul war allein. Ein paar Minuten lang blieb er verstört
auf dem Sofa sitzen, dann sprang er auf, um ihr nachzulaufen. Dabei
stolperte er mehrfach über Gegenstände, die auf dem Boden lagen,
kam ins Straucheln, fing sich aber wieder, bevor er hinfallen konnte.
Draußen fand er Carla nicht sofort. Er irrte durch die Räume. Seine
Gedanken fuhren Karussell, während er Carla suchte. Als er sie
schließlich fand
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