Der Erdrutsch (German Edition)
damals in diesen Fall verwickelt war.“
„ Ich
habe das auch erst gedacht.“
„ Das
ist ja schrecklich. Da sitzen wir mehrere Abende lang mit dieser Frau
an einem Tisch, wir lachen und trinken Wein.“ Sie war sichtlich
entsetzt. „Sie hat kein Wort darüber verloren.“
„ Warum
sollte sie auch“, antwortete Opa. „Das ist doch auch schon lange
vorbei, oder habe ich das falsch verstanden?“ Er blickte seinen
Enkel an. Der nickte nur kurz.
„ Das
ist ja alles richtig“, gab Johans Mutter zurück. „Aber dennoch:
Ich finde es furchtbar. Ein Kind zu entführen. Was tut man einem
Kind damit an? Und den Eltern. So ein Kind kann doch nie wieder ein
normales Leben führen.“
„ Wie
krank muss man sein, wenn man einem Menschen das antut?“, regte
sich Oma auf.
„ Dafür
gibt es sicherlich eine Menge von Gründen“, meinte Opa. „Und
wenn ich das richtig verstehe, dann ist die Frau ja auch für ihr
Vergehen bestraft worden“, fuhr er fort.
„ Aber
das kann man doch nicht durch eine Strafe wieder gut machen“,
meinte Johans Mutter. „Das wird man doch sein Leben lang nicht mehr
los. Ich finde, dass ein Mensch, der einem anderen Menschen so etwas
antut, für immer hinter Schloss und Riegel gehört.“
Opa schaute Johan nachdenklich an. Er kratzte sich am Kopf, murmelte
etwas vor sich hin, dann fragte er: „Wir sprechen hier von der
Frau, die bei dem Erdrutsch ums Leben gekommen ist, richtig?“
Neugierig blickte er über den Tisch.
„ Ja“,
antwortete Johan, „ich würde einfach gerne mehr über ihr Leben
herausbekommen. Ich finde, das hat sie verdient, jetzt, wo sie tot
ist.“
„ Wie
war noch der Name von der Frau?“, wollte er weiter wissen.
„ Elsbeth
König, aber das ist der Name, den sie erst nach ihrer Scheidung
angenommen hat. Ihr Mädchenname war Zobel. Zwischendurch hieß sie
ein paar Jahre lang Hochheim mit Nachnamen“, sagte Johan. „Das
war wohl der Nachname ihres Mannes.“
„ Du
weißt aber schon eine ganze Menge über diese Elsbeth“, meinte
seine Oma.
„ Hochheim
… Also ich müsste mich schon sehr täuschen, wenn …“ Opa
sprach nicht weiter. Er schien nachzudenken.
„ Wenn
was?“, bohrte Johan nach.
„ Ich
erinnere mich daran. Das muss mindestens fünfzehn Jahre
zurückliegen.“ Dann unterbrach er seinen Gedankengang selbst.
„Wenn ich mich richtig erinnere, dann war das der Fall, in dem eine
Frau ein Mädchen entführt hat und im Wald gefangen gehalten hat.
Über viele Jahre. Gar nicht weit von hier. Das muss alles sehr
dramatisch gewesen sein. Am Ende war das Mädchen tot. Oder war es
doch anders? Ich weiß es nicht mehr ganz genau …“
„ Siehst
du. Ich will es genau wissen“, entgegnete Johan.
Seine Mutter entschied, dass es Zeit sei, zurück nach Hause zu
fahren. Sie sagte, die Geschichte sei ihr zu schaurig und sie wolle
darüber gar nichts weiteres erfahren.
35. Kapitel
Am kommenden Vormittag fuhr Johan wieder mit dem Fahrrad zur
Bibliothek und wie versprochen lag dort ein ganzer Stapel
großformatiger Bücher für ihn, in denen die Tageszeitungen eines
ganzen Jahres versammelt waren. Es war zwar keine der großen
überregionalen Zeitungen, aber er hoffte, auch in der Tageszeitung
der Region fündig zu werden. Er schleppte den Stapel Band für Band
an einen Tisch im Lesesaal und begann sie einen nach dem anderen
durchzublättern. Auch Stefan war wieder in der Bibliothek. Er wurde
rot, als Johan ihm plötzlich auf die Schulter klopfte, aber er
schien sich zu freuen. Johan erzählte ihm, was er suchte. Stefan war
begeistert, hatte allerdings wenig Zeit und musste bald darauf gehen.
Es dauerte eine Weile, bis Johan auf den ersten Artikel stieß, der
ihm weiter half. Genau gesagt dauerte es drei Monate – so viele
Ausgaben der Zeitung musste er durcharbeiten. Dann ging es Schlag auf
Schlag. Fast jeden Tag standen Artikel in der Zeitung. Johan hatte
sein Laptop mitgebracht und begann eifrig Daten, Fakten und Zahlen
zusammenzutragen. Fast den ganzen Tag war er damit beschäftigt. Am
späten Nachmittag hatte er alles gefunden, was er suchte.
Hoffentlich war Paul zu erreichen – er musste ihm unbedingt alles
erzählen. Gerade wollte er den Computer runterfahren, um ihn im
Rucksack zu verstauen, als er den Kopf hob und in das Gesicht eines
jungen Mannes blickte, den er schon einmal irgendwo gesehen hatte.
36. Kapitel
Der Anruf kam am Morgen. Paul saß am Frühstückstisch, sein Vater
war schon unterwegs. Er nahm den Anruf auf seinem Handy
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