Der Erdrutsch (German Edition)
die alles mitmachen musste. Sie ist irgendwann einfach
durchgedreht. Seit ein paar Jahren lebt sie nun hier. In der
Anfangszeit haben noch alle gedacht, sie könne nach einer Zeit der
Beruhigung wieder nach draußen. Aber das ist jedes mal schief
gegangen. Sie kann sich nicht um sich selbst kümmern. Sie
verwechselt die Menschen, glaubt manchmal, in einer anderen Zeit zu
leben. Sie legt es letztlich darauf an, in einer Traumwelt zu leben,
anstatt sich mit der Gegenwart auseinander zu setzen. Heute ist das
einzige, was sie noch hat, die Erinnerung. Und natürlich die Besuche
des Sohnes, wenn sie ihn denn erkennt …“
„ Und
erzählt sie allen Mädchen, dass sie mit ihrem Sohn verlobt seien?“,
wollte Luise wissen, die von der Geschichte fasziniert war.
„ Nein“,
die Frau lachte. „Das ist neu.“ Sie verschluckte sich beinahe, so
sehr musste sie lachen. „Hat sie das von dir behauptet?“
Luise bejahte. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Sie musste
unbedingt mit Paul und Johan sprechen.
33. Kapitel
Paul hatte sich zurückgezogen. Der Abend mit Carla ging ihm nicht
mehr aus dem Kopf. Hatte sie etwa recht? War er … schwul? Irgendwie
war es schon komisch gewesen mit Johan. Er mochte ihn. Er freute
sich, wenn er da war. Und er hoffte, ihn in den nächsten Tagen zu
sehen. Aber bedeutete das gleich, dass er schwul war? Hatte Carla
versucht, ihn zu verführen? Er fand das ordinär, was sie getan
hatte. Irgendwie ekelig. Wegen einer Wette!
Er musste sich ablenken. Er fuhr seinen Computer hoch. Er suchte die
Adresse, die er von Ingo bekommen hatte und suchte nach Walter
Hochheim. Die Adresse und die Telefonnummer stimmten noch. Er
arbeitete als Schauspieler an mehreren Theatern in der Region,
zumindest tauchte sein Name in dem Zusammenhang oft auf. Kurzerhand
rief Paul ihn an. Er war ein bisschen aufgeregt, weil er nicht genau
wusste, was er sagen oder fragen sollte. Der Anrufbeantworter meldete
sich. Paul war enttäuscht, sprach dann aber auf das Band und teilte
mit, dass er Elsbeth im Urlaub kennengelernt habe und nun mehr über
sie erfahren wolle. Er bat um Rückruf.
Bevor er wieder zum Nachdenken kam, stand sein Vater in der Tür.
„ Wir
wollen für ein paar Tage zu Opa fahren. Willst du mitkommen?“
Paul stöhnte auf. Sie waren doch gerade erst wieder in der Stadt
angekommen. Er wollte nicht schon wieder irgendwo in der Pampas
sitzen und keinen sehen.
„ Muss
das sein?“
„ Was
ist denn die Alternative?“, wollte sein Vater wissen.
„ Ich
kann ja bei Johan wohnen.“ Kaum war der Satz raus, da fragte sich
Paul, ob das richtig war. Was würde Johan von ihm denken?
„ Na
gut, ruf ihn an und frag´ auch seine Eltern, ob die einverstanden
sein. Mir soll das recht sein.“
Paul griff zögernd zum Hörer, erreichte Johan sofort, der nach
kurzer Rückfrage bestätigte, dass der Besuch von Paul willkommen
war. Paul legte wieder auf.
34. Kapitel
Zur gleichen Zeit saßen Johan und seine Mutter bei den Großeltern
am Esstisch. Nach dem Mittagessen wollte sie wieder zurückfahren.
Das Gespräch drehte sich im Verlauf des Essens immer wieder um den
Erdrutsch. Sie diskutierten viel darüber, wie eine solche Lawine
zustande gekommen sein konnte. Wenn auch die Theorie eines
Verbrechens kurz im Raum stand, so wurde sie doch bald wieder
verworfen, da die Presse nichts in dieser Richtung berichtet hatte.
Johan hielt lieber den Mund, anstatt etwas über die Recherchen zu
erzählen. Das hätte nur lange Diskussionen nach sich gezogen. Und
seine Mutter hätte sich wieder Sorgen gemacht.
Als sie jedoch auf Elsbeth zu sprechen kamen, konnte sich Johan nicht
zurückhalten:
„ Elsbeth
König ist ja mal verurteilt worden …“, platzte es aus Johan
heraus.
„ Wie
kommst du denn darauf?“, fragte seine Mutter. „Wenn du so etwas
sagst, dann musst du auch Beweise dafür haben.“
„ Ich
habe im Internet recherchiert“, antwortete Johan lapidar.
„ Und
aus dem Internet hast du, dass Elsbeth vor Gericht gestanden hat und
verurteilt wurde?“, wollte sein Opa wissen.
„ Ja,“
entgegnete Johan, „sie hat damals ein Kind entführt. Über mehrere
Jahre. Irgendwann ist sie verhaftet worden und ins Gefängnis
gekommen – zumindest habe ich das in einem Artikel gelesen.“
„ Das
kann ich mir einfach nicht vorstellen“, meinte seine Mutter.
„Elsbeth war doch eine so nette Frau.“ Sie schüttelte den Kopf.
„Bist du sicher, dass du dich nicht vertust? Es könnte doch eine
ganz andere Frau sein, die
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