Der Erdrutsch (German Edition)
entgegen.
Eine sympathische Männerstimme meldete sich:
„ Hier
spricht Walter Hochheim.“
Paul war einen kurzen Moment sprachlos, dann fing er sich wieder und
erklärte dem Anrufer sein Anliegen. Erst als er noch einmal deutlich
betonte, er habe Elsbeth persönlich kennen gelernt und sei
selbstverständlich nicht von der Presse, lud er ihn zu sich in die
Wohnung ein. Um zwölf Uhr sollte er da sein. Dass es so schnell
gehen würde, hatte Paul nicht vermutet, aber er wollte sich das
Gespräch nicht entgehen lassen. So sagte er sofort zu. Aufgeregt
rief er bei Johan an, erfuhr aber von dessen Mutter, dass der in die
Bibliothek gefahren war. Wann er zurückkomme, konnte sie ihm nicht
sagen. Stattdessen verwickelte sie ihn in ein Gespräch über
Elsbeth. Aber als sie jedoch versuchte, Paul auszufragen und
andeutete, Johan habe am Abend zuvor eigenartige Theorien entwickelt,
da beendete Paul das Gespräch schnell. Er habe noch eine Verabredung
– das war noch nicht einmal gelogen – mit wem, das erwähnte er
aber lieber nicht.
Er klingelte an der Tür des unauffälligen Mehrfamilienhauses. Der
Türsummer wurde umgehend betätigt, so als ob Walter bereits neben
der Tür gestanden hätte. Paul ging über das frisch geputzte
Treppenhaus zwei Etagen nach oben. Dann stand er einem Mann
gegenüber. Er war etwa Mitte Fünfzig, trug eine sportliche helle
Leinenhose und einen ebenfalls hellen dünnen Pulli. Er blickte ihn
mit freundlichen Augen an, wirkte allerdings etwas überrascht, als
er Paul sah. Die Haare begannen an den Seiten weiß zu werden. Er
trat zur Seite, um seinen Gast in die Wohnung zu lassen. Paul kam
hinein, ging langsam über den schmalen Flur. Soweit Paul es
überblicken konnte, war die Wohnung nicht groß, aber sehr
geschmackvoll eingerichtet. An den Wänden im Flur hingen
Theaterplakate, einige waren gerahmt, die meisten waren allerdings
mit Heftzwecken befestigt. Walter folgte Paul in die Küche. Auf dem
Tisch standen schon zwei Tassen, eine Schale mit Keksen und eine
Thermoskanne, aus der Walter nun Kaffee einschenkte.
„ Entschuldige,
wenn ich etwas erstaunt bin, aber ich hatte gedacht, du seist älter.
Darf ich noch Du sagen? Das Sie klingt immer so förmlich, ich
vermeide es, wenn es sich einrichten lässt.“
Er wies auf einen der Stühle. selbst setze er sich auf die andere
Seite des Tisches. Blumen standen auf dem Tisch, rote Tulpen. Die
Fensterbank beherbergte eine Sammlung alter Einmachgläser, in denen
sich ein undurchdringliches Sammelsurium kleiner und kleinster
Gegenstände befand: Muscheln, bunte Heftzwecken, Notizzettel,
Korken, Briefe, DM-Münzen und vieles mehr. Daneben stand ein kleiner
Topf aus Plastik mit Basilikum.
„ Ja,
das ist kein Problem.“
Paul setzte sich ebenfalls. Dann fiel ihm ein, dass er sich überhaupt
keine Gedanken darüber gemacht hatte, was er Walter eigentlich
fragen wollte. Er hätte sich wenigstens ein paar Notizen machen
können.
„ Was
kann ich denn für dich tun?“ Walter nahm reichlich Zucker zu
seinem Kaffee, keine Milch. „Du hast meine Ex-Frau kennengelernt?“
Er rührte bedächtig in der Tasse.
„ Ja,
kurz bevor sie …“ Paul stockte. „Sie wissen, was passiert ist?“
Auch darüber hatte er nicht nachgedacht. Was war, wenn Walter noch
nicht Bescheid wusste?
„ Wir
haben immer noch gemeinsame Freunde. Ich meine natürlich: Wir hatten
…“ Kurz unterbrach er sich. „Ja, ich habe gehört, was passiert
ist, allerdings weiß ich nichts Genaues darüber.“ Er atmete tief
durch. „Ich hoffe, von dir etwas mehr zu erfahren.“
Paul wurde unsicher. Was wollte er denn hier? Johan hätte das
sicherlich mit Bravour gemeistert, aber er wusste nun nicht, wo er
anfange sollte.
„ Ich
war mit meinen Eltern im Urlaub, als es passiert ist, also das mit
dem Erdrutsch. Da habe ich Elsbeth getroffen. Wir haben in der
gleichen Pension gewohnt“, begann er zögerlich. Walters
Augenbrauen zogen sich in die Höhe.
„ Ach,
ihr wart bei den Lechners?“ Er lächelte kurz. „Es ist schön da,
oder? Naja, jetzt vermutlich nicht mehr.“ Walter wurde
nachdenklich. „Ich bin ein paarmal mit Elsbeth da gewesen. Vor
langer Zeit.“ Er blickte Paul direkt ins Gesicht. „Das war in
einem anderen Leben. Was ist denn eigentlich passiert? Ich weiß
bisher nur, dass Elsbeth in der Pension war, als eine Lawine das
Gebäude zerstört hat. Sie soll sofort tot gewesen sein.“
„ Ja,
das stimmt. Wir haben die Lawine gesehen.“
Paul berichtet kurz, was sie
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