Der Erdrutsch (German Edition)
den Weg zu
Luise machen, um mit ihr die Situation zu besprechen, da sah er, dass
er vor Stunden eine SMS bekommen hatte, die er völlig übersehen
hatte. Sie stammte von Johan.
42. Kapitel
Johan traf Oskar an der verabredeten Stelle im Park. Eine weite
Rasenfläche öffnete sich vor ihm. Büsche lockerten das Gelände
auf, Schotterwege schlängelten sich über das Gelände. Im vorderen
Bereich, über den Johan den Park betrat, konnte man noch die Straße
hören. Je tiefer er in die Grünfläche vordrang, desto stiller
wurde es. Am hinteren Ende, dort, wo sie sich verabredet hatten,
schloss sich der Wald an. Es war ein ruhiger Sonntag Mittag, die
Sonne fiel schräg auf das Gelände.
Oskar saß auf einer Bank, etwas abseits, halb im kühlenden Schatten
des angrenzenden Waldes. Johan ging auf ihn zu, immer in der
Erwartung, schnell weglaufen zu können. Er schaute noch einmal kurz
auf sein Handy, bevor er Oskar begrüßte. Der Akku war leer und das
Display schwarz. Also verstaute er das Handy in seiner Tasche,
hoffend, dass er es nicht benötigen würde.
„ Hallo
Johan, schön, dass du gekommen bist.“ Oskar stand auf, kam ein
paar Schritte auf Johan zu, blieb aber stehen, als er bemerkte, dass
dieser skeptisch zurück wich. „Das, was da gestern passiert ist,
das tut mir wirklich leid.“ Johan stand drei Meter von Oskar
entfernt, der nun weiter sprach: „Du hast nichts zu befürchten.
Ich tue dir nichts.“
Oskar breitete die Arme aus und streckte ihm die leeren Handflächen
entgegen, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Dann setzte er sich
wieder auf die Bank. Johan blieb in sicherem Abstand. Er wollte kein
Risiko eingehen.
„ Ich
muss dir die Situation wohl erklären.“ Oskar setzte sich gerade
hin, schien dann einen Moment lang zu überlegen, wo er beginnen
sollte. „Du musst wissen, ich habe es wirklich schwer gehabt.“ Er
machte eine Pause. Dann fragte er Johan: „Du lebst bei deinen
Eltern, oder?“ Johan nickte. „Ich konnte das nicht“, entgegnete
Oskar. „Früher hatte ich eine wunderbare Familie. Dann sind aber
Dinge geschehen, die mein Leben dramatisch verändert haben.“
„ Was
waren das für Dinge?“, wollte Johan wissen. Seine Stimme war
belegt. Er überlegte, was er von Luise über Oskar erfahren hatte,
aber sie hatte sich zurückgehalten. Nervös wippte er von einem Bein
auf das andere.
„ Wenn
ich dir das alles erzählen wollte, dann würde das zu weit führen“,
antwortete Oskar. „Das ist zu kompliziert. Glaub mir einfach: Es
war schlimm.“ Er schluckte und senkte den Kopf. „Ich bin bei
meiner Tante aufgewachsen. Mein Vater ist abgehauen, seit über 15
Jahren habe ich ihn nicht mehr gesehen. Meine Mutter hingegen ist
schon lange schwer krank. Ich weiß nicht, wie lange sie noch leben
wird.“ Nun hob er wieder den Kopf. Er sah Johan direkt an. „Kannst
du dir das vorstellen, wie das ist? Denk dir einfach, dein Vater
würde von jetzt auf gleich verschwinden. Du wirst ihn nie wieder
sehen.“ Oskar hatte Tränen in den Augen.
„ Stell
dir weiter vor, dass dann deine Mutter krank wird. Ich muss mich
allein um sie kümmern. Sie ist im Krankenhaus. Manchmal erkennt sie
mich nicht.“ Oskar suchte in seiner Tasche nach einem Taschentuch,
fand eines und schneuzte sich die Nase. „Mein Bruder ist mit der
Situation nicht fertig geworden. Er hat eine Richtung eingeschlagen,
aus der es nur schwer einen Ausweg gibt. Alkohol, Drogen.“ Wieder
blickte er Johan in die Augen. „Ich habe eine wunderbare Familie
gehabt. Meine Eltern haben mich geliebt, es muss der Traum eines
jeden Kindes gewesen sein. Heute ist das alles kaputt.“
„ Das
tut mir sehr leid“, sagte Johan.
„ Nachdem
mein Leben zerstört war, nachdem ich nicht mehr bei meinen Eltern
leben konnte, nachdem meine gesamte Familie kaputt gegangen war, habe
ich jahrelang gekämpft.“ Oskar schien für eine Weile in Gedanken
zu versinken. Dann aber lief ein kurzes Zucken durch seinen Körper,
er schüttelte sich leicht und sprach weiter: „Ja, ich habe
gekämpft. In der Schule, auf der Arbeit, überall. Ich habe nichts
geschenkt bekommen. Ich habe Scheiße gefressen, musste überall
betteln, dass man mich unterstützt, mir Arbeit gibt. Das Geld hat
dabei nie gereicht.“ Wieder blickte er Johan an. „Dabei benötigte
ich das Geld ganz dringend. Nicht für mich, ich brauche nicht viel.
Aber meine Mutter. Der würde ich so gerne ein besseres Leben
ermöglichen. Weißt du, sie hat es verdient. Ich will nicht,
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