Der Erdrutsch (German Edition)
Arbeit.“
„ Wissen
Sie, woran sie gearbeitet hat?“
Paul fiel siedendheiß ein, dass er den Artikel von Elsbeth noch
nicht gelesen hatte. Er wollte das so schnell wie möglich nachholen.
„ Nein,
das weiß ich nicht. Sie ist damit auch nicht hausieren gegangen, das
war nicht ihre Art. Zudem erwähnte sie, dass sie sich verfolgt und
bedroht fühlte.“
„ Gab
es denn Anzeichen für eine Bedrohung?“
Wenn Elsbeth bedroht worden war, dann konnte es ja sein, dass
wirklich etwas an Johans Theorie eines Attentats dran war.
„ Nicht
direkt. Elsbeth hatte seit den Erfahrungen damals hin und wieder
Ansätze von Verfolgungswahn. Die Presse hat ihr intensiv
aufgelauert, hat jeden ihrer Schritte im Nachhinein auseinander
genommen.“
„ Wann
war das denn?“
„ Direkt
nach ihrer Verhaftung. Und dann, als sie wieder frei kam. In den
ersten Tagen ihrer Entlassung aus dem Gefängnis konnte sie keinen
Schritt tun, ohne ein paar Fotografen im Schlepptau zu haben.“ Er
starrte vor sich auf die Tischplatte. „Sie konnte im Grunde nichts
alleine tun. Das war eine schlimme Zeit für sie. Das war auch der
Grund, warum sie kurz darauf ihren Namen gewechselt hat. Sie hat den
Mädchennamen ihrer Mutter angenommen, weil den niemand kannte. Mit
ihrem eigenen Mädchennamen hätten die Paparazzi sie bestimmt
trotzdem gefunden. Dann ist sie in eine andere Stadt gezogen. Sie hat
sich vollkommen von der alten Welt abgeschottet.“
„ Woher
wissen Sie das alles? Neulich haben Sie mir erzählt, Sie hätten
kaum Kontakt gehabt.“
„ Das
stimmt auch für die erste Zeit. Sie hat sich immer nur dann
gemeldet, wenn sie ganz am Boden war. Erst in den letzten zwei Jahren
ist das langsam besser geworden. Aber ich wollte ja auch gar keinen
Kontakt mehr zu ihr. In der Mail vor zwei Wochen schrieb sie mir zum
ersten Mal, es gehe ihr relativ gut.“
„ Gab
es denn nun eine Bedrohung oder nicht?“
„ Nunja,
ich habe das wohl nicht ganz ernst genommen. Du musst das verstehen:
Ich habe geglaubt, das sei ihr alter Wahn. Sie hat mir mehrfach davon
erzählt, dass sie sich verfolgt fühlte.“ Walter rührte seinen
Kaffee hektisch klirrend um. „Was hätte ich denn tun sollen?“,
fragte er, wobei die Frage weniger an Paul, sondern mehr an sich
gerichtet war.
„ Hat
sie gesagt, woran sie gemerkt hat, dass sie verfolgt wird?“
„ Sie
hat mir von anonymen Anrufen erzählt, von Menschen, die sich
eigenartig benahmen.“ Walter schüttelte den Kopf, als wolle er die
Gedanken daran schnell wieder loswerden.
„ Genaueres
hat sie nicht erzählt?“, fragte Paul dennoch weiter.
„ Doch,
das hat sie wohl, aber ich habe nicht richtig hingehört. Ich dachte
ja, da komme diese alte Angst wieder hoch. Ich dachte, es sei eine
Psychose. Die alten Gespenster kämen zurück.“ Walter goss sich
Kaffee nach. Seine Wangen waren gerötet, er hatte ein paar Flecken
am Hals bekommen. „Ich würde das ja so gerne alles zurückdrehen,
dann würde ich versuchen, ihr zu helfen. Aber das geht ja nicht
mehr. Dafür ist es jetzt zu spät.“
Er versenkte das Gesicht in den Händen. Paul befürchtete, Walter
könne anfangen zu weinen, deshalb sagte er lieber erst einmal
nichts. Nach einer Weile sprach Walter weiter.
„ In
dieser Mail hat sie auch noch geschrieben, sie habe den Eindruck,
diesen neuen Kollegen irgend woher zu kennen. Aber auch das hat sie
nicht genauer ausgeführt.“ Es entstand erneut eine Pause. Dann
ergriff Paul wieder das Wort.
„ Sie
haben mir am Telefon gesagt, Sie hätten in einer Kiste Dinge
gefunden, die mich interessieren könnten.“ Walter stand auf. Von
der Ablage hinter sich nahm er einen Umschlag. Er holte ein Foto
heraus, das er Paul zeigte.
„ Das
ist der Junge, den sie damals entführt hat.“
Paul betrachtete das Bild. Was sollte das denn jetzt werden?
„ Es
war ein Junge?“, fragte er nach einer Pause stockend. „Ich hatte
geglaubt, es sei ein Mädchen gewesen.“ Er nahm das Foto an sich,
um den Jungen darauf zu betrachten.
„ Nein,
wie kommt du denn darauf? Es war ein kleiner Junge. Das Foto war in
einer der Kisten, die Elsbeth bei mir untergestellt hat, als sie ins
Gefängnis ging. Diese Kiste wollte sie nie wieder haben. Ich habe
sie niemals aufgemacht, da ich davon ausging, dass darin viele sehr
persönliche Sachen waren. Vor ein paar Tagen habe ich zum ersten Mal
hinein gesehen. Da sind vor allem Erinnerungsstücke an Oskar drin.“
Paul hatte bis zu diesem Moment fasziniert auf das Foto
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