Der Erdrutsch (German Edition)
geblickt.
Jetzt drehte er entsetzt den Kopf. „Wer ist Oskar? Ist das der
Junge?“
War das möglich? Paul konnte sich von dem Gesicht nicht losreißen.
Jetzt wusste er, wo er es schon einmal gesehen hatte.
„ Ja.
Sie hatte mit der ganzen Geschichte abgeschlossen.“
Walter hatte Pauls Aufregung nicht bemerkt.
„ Sie
wissen vermutlich nicht, was dieser Oskar heute macht?“
Er hatte ihn gesehen. Er hatte ihn geschlagen. Gestern. Oskar war
älter geworden. Er hatte Johan angegriffen. Wie ein Stich ging es
ihm durch den Magen. Wo war Johan jetzt? Verdammt, er musste ihn
sofort anrufen.
„ Nein,
das weiß ich nicht. Das war ja alles vorbei. Ich habe mich seit
Jahren nicht mehr damit beschäftigt. Ich habe ihn auch nie selbst
getroffen. Und Elsbeth hatte für ihr Verbrechen gebüßt. Sie war
danach kaputt. Außerdem hat sie ihm ja auch fast ihr gesamtes Geld
übertragen.“
„ Wie
bitte???“
„ Sie
hatte geerbt, damals, in den 70er Jahren. Es war so viel, dass sie
von den Zinsen leben konnte. Mit dem Geld hat sie sich das Haus
gekauft, in dem wir gelebt haben; sie hat jeden Monat ein bisschen
Geld abgehoben. Dadurch konnte sie es sich leisten, nur die
interessanten Aufträge anzunehmen. Nach der Verurteilung, als die
Einsicht zu ihr durchdrang, dass sie unrecht gehandelt hatte, hat sie
beschlossen, den Großteil davon als Wiedergutmachung auf den Jungen
zu überschreiben.“ Walter goss sich noch einen Kaffee ein.
„ Wann
war das?“, fragte Paul atemlos.
„ Das
muss Anfang 1992 gewesen sein. Direkt nach der Verurteilung. Warum
willst du das so genau wissen?“, wunderte sich Walter.
„ Wissen
Sie noch, was sie genau mit dem Geld gemacht hat?“
„ Warte
mal, ich habe da vorhin doch noch den Beleg der Bank in der Hand
gehabt.“
Walter stand wieder auf, um ins Nachbarzimmer zu gehen. Paul
versuchte verzweifelt, seine Gedanken zu sortieren. Wenn es stimmte,
dass der entführte Junge mit dem Oskar von gestern identisch war,
was hatte er dann von Johan gewollt? Was hatte er mit Elsbeths Tod zu
tun? Hatten die beiden voneinander gewusst? Oder wusste einer mehr
als der andere? Elsbeth hatte gesagt, sie habe ihn schon einmal
gesehen, aber hatte sie ihn auch erkannt? Walter kam mit einem Zettel
zurück.
„ Der
Junge hat damals natürlich kein eigenes Konto gehabt. Ich weiß
noch, dass Elsbeth seinen Eltern geschrieben hat.“ Er faltete den
Zettel auseinander. „Hier steht es: Das Geld ist an Herbert
Schwencke gegangen. Das war vermutlich sein Vater.“
Er hielt Paul den Beleg der Bank hin. Paul nahm ihn und war baff:
Herbert Schwencke wurden tatsächlich 500.000 DM überwiesen. Im
Januar 1992. Er blickte von dem Zettel hoch.
„ Was
hat sein Vater mit dem Geld gemacht?“ Seine Stimme war leicht
belegt.
„ Keine
Ahnung. Er wird es vermutlich angelegt haben. Bedingungen gab es ja
nicht. Er hat das Geld einfach bekommen. Fertig.“
Paul hatte den Eindruck, dass Walter seine Fragerei jetzt auf die
Nerven ging. Aber er konnte nicht mehr zurück. Wenn das alles so
stimmte, wie er es sich ausmalte, dann war Johan vermutlich in
Gefahr, deshalb musste er jetzt so viel wie möglich herausbekommen,
damit er sich danach überlegen konnte, was er tun sollte. Er fragte
also weiter:
„ Elsbeth
hat danach nie wieder Kontakt zu dem Jungen gehabt?“
„ Nein,
das durfte sie nicht. Sie wollte das auch gar nicht. Ich habe dir ja
schon beim letzten Mal erzählt: Sie hatte während der Haft eine
Therapie gemacht. Sie war über den Verlust unseres Kindes hinweg
gekommen, so weit das überhaupt geht. Ihr war klar, dass sie das
Leben dieses Jungen zerstört hatte, sie wollte das nicht noch
verschlimmern, indem sie in sein Leben eingriff. Und sie hat immer
gehofft, dass er auch eines Tages darüber hinweg kommt. Sie hat
Kinder ja so sehr geliebt.“ Walter seufzte. „Sie ist einfach
daran zerbrochen, dass Dominik ums Leben gekommen ist. Einmal bin ich
mit ihr noch auf den Friedhof gegangen, zu seinem Grab. Ich glaube
fast, dass sie ihr Herz damals mit beerdigt hat. Das, was du
kennengelernt hast, war eigentlich nur noch eine Hülle. Sie hat nie
wieder einen Menschen an sich herangelassen.“
Als Paul ein wenig später vor dem Haus stand, stellte er sein Handy
sofort wieder an. Er hatte eine Nachricht von Johans Eltern auf dem
Band, die sehr besorgniserregend war. Er versuchte also, Johan auf
dessen Handy zu erreichen, bekam aber nur die Mailbox. Danach wusste
er nicht, was er tun sollte. Gerade wollte er sich auf
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