Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
wartete auf ihn, irgendwo an den Hängen und Wäldern der Insel, und er steuerte unmittelbar darauf zu.
Jetzt ragten die waldbedeckten Felskliffe hoch über ihm, und der Gischt der an den Felsen zersprühenden Wellen zerstob an seinem Segel, als ihn der magische Wind zwischen zwei Vorgebirgen hindurch in eine Bucht trieb, die sich lang und schmal, nicht breiter als zwei Galeeren, tief ins Innere des Landes erstreckte. Das Meer, beengt und bedrängt von den Klippen, schlug ungestüm gegen die steilen Felswände. Kein Strand war zu sehen, denn die Felsen fielen steil ab ins Meer, das im kalten Schatten der hohen Felsen schwarz vor Ged lag. Kein Wind regte sich, kein Laut war zu hören.
Der Schatten hatte ihn in Osskil aufs Meer gelockt, im Nebel hatte er ihn zwischen die Felsen geführt – war dies hier der dritte Trick? Hatte er, Ged, den Schatten hierhergetrieben, oder hatte der Schatten ihn in eine Falle gelockt? Ged wußte es nicht. Er litt nur unter dem Entsetzen und dem Grauen, das ihn folterte, und er wußte, daß er nicht aufgeben konnte, daß er vollenden mußte, was er angefangen hatte: Dem Bösen mußte er nachjagen, dem Entsetzlichen mußte er bis zu seinem Ursprung folgen. Ganz vorsichtig steuerte er sein Boot, nach allen Richtungen hielt er Ausschau, seine Blicke glitten aufmerksam die Felswände auf und ab. Das Sonnenlicht des jungen Morgens lag hinter ihm auf der offenen See. Hier war alles dunkel. Die Öffnung zwischen den Vorgebirgen lag wie ein fernes, helles Tor weit hinter ihm. Die Felswände wurden höher, als er sich dem Berg näherte, von dem sie ihren Ursprung nahmen, und die Wasserstraße wurde schmaler und schmaler. Er spähte in die dunkle Kluft vor sich und blickte links und rechts auf die von Felsbrocken übersäten und von Höhlen vernarbten steilen Abhänge, an die sich knorrige Bäume klammerten, deren Wurzeln halb in der Luft hingen. Nichts rührte sich. Er hatte das Ende der Bucht erreicht. Das Meer, das hier nicht breiter als ein Bach war, schlug in kleinen, schwachen Wellen gegen eine hohe, leere, schrundige Felswand. Abgebrochene Felsstücke, verfaulte Baumstämme und die Wurzeln knorriger Bäume ließen nicht viel Raum zum Steuern. Es war eine Falle, eine dunkle Falle unter den Wurzeln des schweigsamen Berges, und er saß mittendrin. Nichts rührte sich vor ihm oder über ihm. Alles war totenstill. Er konnte nicht mehr weiter.
Vorsichtig wandte er das Boot herum – mit Zauberspruch und Ruder arbeitend, damit es nicht an einem vom Wasser verdeckten Felsen zerschelle oder an einer Wurzel oder einem Zweig hängenblieb –, bis er wieder dorthin schaute, woher er gekommen war. Er war gerade im Begriff, einen magischen Wind in sein Segel zu rufen, als ihm die Worte auf den Lippen erstarben und das Herz in seiner Brust eiskalt wurde. Er blickte über die Schulter: Der Schatten stand hinter ihm im Boot.
Hätte er eine Sekunde lang gezögert, so wäre er verloren gewesen. Aber er war bereit. Er warf sich auf das Wesen, das in Armeslänge unbestimmt vor ihm wankte, um es zu packen und festzuhalten. Keine Zauberkraft konnte ihm jetzt helfen, nur seine eigene Stärke, sein eigenes Leben gegen das Unlebendige. Er sprach kein Wort, sondern stürzte sich darauf, das Boot rollte und schlingerte unter der plötzlichen Bewegung. Ein stechender Schmerz durchlief seinen Arm, erfüllte seine Brust und benahm ihm den Atem. Eiseskälte durchrann seine Glieder, und er sah nichts mehr; doch seine Hände, die nach dem Schatten gegriffen hatten, hielten nichts – nur Dunkelheit, nur Luft.
Er strauchelte und ergriff den Mast, um sich festzuhalten. Licht schoß zurück in seine Augen. Er sah, wie der Schatten vor ihm zurückschauderte und zusammenschrumpfte, dann wuchs er wieder an und streckte sich aus, riesig, über das Segel hinaus, aber nur einen Augenblick lang, dann ballte er sich wie schwarzer Rauch im Wind zusammen und floh, eine formlose Masse, übers Meer, auf die helle Spalte zwischen den Felsen zu.
Ged fiel auf die Knie. Das aus Zauberworten geflickte kleine Boot rollte noch einmal, dann schaukelte es sich allmählich aus, bis es still lag und auf den ruhelosen Wassern dahintrieb. Er sank in sich zusammen, betäubt, halb bewußtlos, nach Atem ringend, bis er kaltes Wasser unter den Händen spürte, das im Boot aufgestiegen war und ihn mahnte, seine inzwischen schwach gewordenen Zauberformeln zu erneuern. Er stand auf und hielt sich am Stab fest, er wirkte seine Bindeformeln, so gut er
Weitere Kostenlose Bücher