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Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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hier.«
    Er setzte sich auf eine der großen Truhen. Er sah erschöpft aus. Die Kette, die er hinter sich herschleifte, schlug klirrend an den Stein. Er ließ den Blick über die grauen Wände schweifen, sah die Schatten und blickte dann sie an.
    Sie wandte die Augen ab und schaute auf die Steintruhen. Sie hatte keine Lust, sie zu öffnen. Es war ihr gleichgültig, welche Schätze darin verrotteten.
    »Hier drinnen brauchst du keine Ketten zu tragen.« Sie trat zu ihm, schloß den Eisengürtel auf und machte Manans Ledergürtel los, der seine Arme festgehalten hatte. »Ich muß die Tür verschließen, aber wenn ich komme, dann muß ich dir trauen können. Du weißt, daß du nicht fort kannst – daß du es nicht versuchen darfst! Ich bin ihre Priesterin, ich führe ihren Willen aus, und wenn ich versage – wenn du mein Vertrauen mißbrauchst –, dann rächen sie sich. Du darfst mir nicht weh tun oder mich betrügen, wenn ich komme, und versuchen, den Raum zu verlassen. Du mußt mir gehorchen.«
    »Ich werde tun, was Sie sagen«, sagte er leise.
    »Ich bringe dir Essen und Wasser, wenn ich kann. Es wird nicht viel sein. Genug Wasser, aber nicht viel zum Essen in der nächsten Zeit; ich werde selbst hungrig sein, mußt du wissen. Aber es wird genug sein, um nicht zu verhungern. Vielleicht kann ich erst in zwei Tagen zurückkehren, vielleicht dauert es noch länger. Ich muß Kossil abschütteln, denn sie spioniert mir nach. Aber ich werde wiederkommen. Ich verspreche es dir. Hier ist Wasser. Teil es ein, ich kann nicht so bald kommen. Aber ich kehre zurück.«
    Er blickte auf und sah sie an. Ein seltsamer Ausdruck lag auf seinen Zügen. »Sei vorsichtig, Tenar«, sagte er.

Namen
    SIE FÜHRTE MANAN durch die verschlungenen Gänge zurück zum Untergrab und ließ ihn dort im Dunkeln zurück, damit er das Grab schaufele, und Kossil, sollte sie danach fahnden, den Beweis finden würde, daß die Strafe an dem Gefangenen vollzogen worden war. Es war spät, und sie ging zielstrebig zum Kleinhaus und legte sich zu Bett. Mitten in der Nacht wachte sie plötzlich auf; sie erinnerte sich, daß sie ihren Umhang im Bemalten Raum gelassen hatte. Er hatte nichts, was ihn in dieser unterirdischen, kalten Schatzkammer warm halten konnte, nur seinen eigenen kurzen Umhang; kein Bett, nur die staubigen Steine. »Ein kaltes Grab, ein kaltes Grab«, stöhnte sie im Halbschlaf, aber sie war zu erschöpft, um richtig aufzuwachen, und schlief bald wieder ein. Sie begann zu träumen. Sie träumte von den Seelen der Toten an den Wänden im Bemalten Raum, von den Gestalten, die wie große unförmige Vögel mit menschlichen Gesichtern, Händen und Füßen aussahen, die im Staub der lichtfernen, höhlenhaften Stätten hockten. Sie konnten nicht fliegen. Sie fraßen Lehm und tranken Staub. Es waren die Seelen derer, die nicht wiedergeboren wurden, alter, längst verschollener Völker und Ungläubiger, die von den Namenlosen verzehrt worden waren. Sie hockten um sie herum, und manchmal vernahm sie ein schwaches Krächzen und Ächzen, das von ihnen ausging. Eine von ihnen kam immer näher. Sie hatte zuerst Angst und wollte sich zurückziehen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Das Wesen hatte kein menschliches, sondern ein Vogelgesicht. Aber sein Haar war golden und seine Stimme, eine Frauenstimme, war warm und weich und sprach sie an: »Tenar, Tenar!«
    Sie wachte auf. Ihr Mund war voller Lehm. Sie lag in einem Grab aus Stein, unter der Erde. Ihre Arme und Beine waren mit Grabtüchern festgebunden; sie lag bewegungslos und stumm.
    Ihre Verzweiflung wuchs und schwoll an, bis ihre Brust aufbrach und die Kraft aus ihrem Inneren den Stein zerschmetterte und sich wie ein Feuervogel zum Licht des Tages erhob, ins Licht des Tages aufstieg – das sie, ganz schwach, in ihrem fensterlosen Raum wahrnehmen konnte.
    Jetzt völlig erwacht, setzte sie sich auf, ganz zerschlagen von den Träumen dieser Nacht, ihr Geist benommen. Sie schlüpfte in ihre Kleider und begab sich zum Wasserbecken des geschützten Innenhofs ihres Kleinhauses. Sie tauchte ihre Arme, ihr Gesicht, ihren ganzen Kopf ins eiskalte Wasser, bis ihr Körper sich schüttelte und ihr Blut heftig durch die Adern pulsierte. Dann warf sie ihr Haar zurück, richtete sich hoch auf und blickte hinauf in den morgendlichen Himmel.
    Es war noch nicht lange nach Sonnenaufgang, ein heller Wintertag. Der Himmel war gelblich und ganz klar. Hoch oben, so hoch, daß sich das Sonnenlicht in seinem Gefieder fing

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