Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan
Labyrinth«, sagte Manan, kaum hörbar. »Geh in dein Haus und schlaf, und morgen früh geh zu Kossil und sag ihr, daß du die Verwünschung aufhebst. Das genügt. Du brauchst dir keine Gedanken mehr zu machen. Ich werde ihr den Beweis bringen.«
»Beweis?«
»… daß der Zauberer tot ist.«
Sie saß unbeweglich. Langsam schloß sie die Hand, und der dünne Knochen knirschte und zerbrach. Als sie die Faust öffnete, hielt sie nur ein paar Splitter und Staub in der Hand.
»Nein«, sagte sie und schüttelte den Staub von ihrer Handfläche.
»Er muß sterben. Er hat dich verhext. Du bist verloren, Arha!«
»Er hat mich nicht verhext. Du bist alt und feige, Manan. Du fürchtest dich vor alten Weibern. Wie stellst du dir denn das vor? Wie willst du zu ihm gelangen und ihn töten und den ›Beweis‹ bringen? Kennst du denn den Weg bis zum Großen Schatz, den du letzte Nacht in der Dunkelheit gegangen bist? Kannst du die Ecken richtig zählen, bis zu den Stufen gelangen, am Schacht vorbei bis zur Tür? Kannst du die Tür aufschließen? – Oh, du armer, alter Manan, dein Geist ist schwach. Sie hat dir Angst gemacht. Geh jetzt zum Kleinhaus und schlaf und vergiß das alles. Quäl mich nicht länger mit deinem Gerede vom Tod … Ich komme später. Geh schon, geh schon, du alter Narr, du alter Bär!« Sie war aufgestanden und schubste Manans breiten Oberkörper, tätschelte ihn und schob ihn fort. »Gute Nacht, gute Nacht!«
Er wandte sich um, zögernd und nichts Gutes ahnend, doch gehorsam, und watschelte den langen Gang zwischen den Säulen unter dem beschädigten Dach hinunter. Sie sah ihn entschwinden.
Geraume Zeit nachdem er verschwunden war, stand sie auf, wandte sich um, glitt um den Sockel des Thrones und verlor sich in der Dunkelheit.
Der Ring von Erreth-Akbe
IN DER GROSSEN SCHATZKAMMER der Gräber von Atuan stand die Zeit still. Kein Licht, kein Leben gab es, nicht einmal das unmerkliche Weben einer Spinne im Staub, das Bohren eines Wurmes in der Erde ließen sich ahnen. Fels und Finsternis und Zeit standen still.
Auf dem Steindeckel einer großen Truhe lag der Dieb aus den Innenländern ausgestreckt auf dem Rükken, wie eine gemeißelte Figur auf einem Sarkophag. Der Staub, durch seine Bewegungen aufgerührt, hatte sich auf seiner Kleidung niedergesetzt. Jetzt rührte er sich nicht mehr.
Das Schloß in der Tür kreischte. Die Tür öffnete sich. Licht zerteilte die Finsternis, und ein leichter Windzug fuhr in die dumpfe Luft. Der Mann lag wie tot.
Arha schloß die Tür und verriegelte sie von innen, stellte ihre Laterne auf eine Truhe und kam langsam auf die regungslose Gestalt zu. Sie näherte sich furchtsam, die Augen aufgerissen, die Pupillen noch geweitet vom langen Gang durch die Dunkelheit.
»Sperber!«
Sie berührte seine Schulter und wiederholte seinen Namen; noch einmal und noch einmal.
Er rührte sich und stöhnte. Endlich setzte er sich auf, sein Gesicht wirkte erstarrt, seine Augen leer. Er blickte sie an und erkannte sie nicht.
»Ich bin es, Arha – Tenar. Ich habe dir Wasser gebracht. Hier, trink!«
Er griff unbeholfen nach dem Gefäß, als wären seine Hände erstarrt, und trank, wenn auch nicht sehr viel.
»Wie lange war ich hier?« fragte er, mühsam die Worte formend.
»Zwei Tage sind vergangen, seit ich dich hierhergebracht habe. Dies ist die dritte Nacht. Ich konnte nicht früher kommen. Ich mußte das Essen stehlen. Hier ist es.« Sie zog einen der großen, flachen Laibe aus der Tasche, die sie mitgebracht hatte, aber er schüttelte den Kopf.
»Ich habe keinen Hunger … Dies … dies ist ein fürchterlicher Ort.« Er legte den Kopf in die Hände und saß unbeweglich.
»Ist dir kalt? Ich habe den Umhang vom Bemalten Raum gebracht.«
Er antwortete nicht.
Sie legte den Umhang hin und blickte ihn an. Sie zitterte ein wenig, und ihre Augen waren noch schwarz und weit offen.
Da sank sie jäh auf die Knie, beugte sich vor und begann zu schluchzen, in heftigen Stößen, die ihren Körper schüttelten, aber ihre Augen nicht mit Tränen netzten.
Er stieg steif von der Truhe herab und beugte sich über sie: »Tenar …«
»Ich bin nicht Tenar. Ich bin nicht Arha. Die Götter sind tot. Die Götter sind tot.«
Er zog ihre Kapuze zurück und legte seine Hände auf ihren Kopf. Er begann zu sprechen. Seine Stimme war leise, und die Worte waren in einer ihr fremden Sprache. Ihr Klang drang in ihr Herz wie leise lispelnder Regen. Sie wurde ruhiger und begann zuzuhören.
Als
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