Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
Augen, »daß ich nicht das Richtige getan habe. Und Sie haben mir das Leben gerettet …«
    »Und du vielleicht meines«, sagte der Magier barsch. »Wer weiß? Sie hätten mir vielleicht die Kehle aufgeschlitzt, wenn sie Zeit dazu gehabt hätten. Reden wir nicht mehr davon, Arren. Ich bin froh, daß ich dich dabeihabe.«
    Dann ging er an die Vorratskiste und zündete den kleinen Holzkohlenbrenner an, auf dem sie kochten. Er holte etwas aus der Kiste heraus und war beschäftigt. Arren lag auf dem Rücken und blickte hinauf zu den Sternen; sein Gemüt beruhigte sich, er konnte wieder klar denken. Und es kam ihm zu Bewußtsein, daß sein Verhalten, sein Tun oder Nichtstun, nicht von Sperber beurteilt werden würde. Er hatte gehandelt, und Sperber hatte es hingenommen, wie es kam. »Ich strafe nicht«, hatte er zu Egre gesagt, und seine Stimme war eiskalt gewesen. Und belohnen tat er auch nicht. Doch er war, so schnell er konnte, über die See geeilt und ihm zu Hilfe gekommen, hatte die Macht seiner Zauberkunst um seinetwillen entfesselt. Wenn es sein mußte, dann würde er das wieder tun. Man konnte sich auf ihn verlassen.
    Er verdiente die Liebe, die Arren für ihn empfand, und das Vertrauen, das er ihm entgegenbrachte. Denn umgekehrt vertraute er auch Arren. Was Arren tat, war richtig.
    Jetzt kam er zurück und gab Arren eine Tasse voll dampfenden, erhitzten Wein zu trinken. »Darauf wirst du gut schlafen. Paß auf, daß du dir die Zunge nicht verbrennst.«
    »Wo kommt denn der Wein her? Ich habe keine Weinflasche an Bord gesehen …«
    »Manches ist dem Auge verborgen. Die Weitblick birgt mehr, als man vermutet«, sagte Sperber und setzte sich neben Arren. Er lachte leise in der Dunkelheit. »Sie macht ihrem Namen Ehre.«
    Arren setzte sich auf, um zu trinken. Der Wein war gut und erfrischte Körper und Geist. Er fragte: »Wo fahren wir jetzt hin?«
    »Nach Westen.«
    »Wohin sind Sie Hase gefolgt?«
    »In die Dunkelheit. Ich habe ihn nicht verloren, doch er war verloren. Er wanderte in den Grenzbereichen herum, in den endlosen, trostlosen Gehegen des Deliriums und der Alpträume. Seine Seele piepste wie ein kleiner Vogel in diesen öden Gefilden, wie eine Möwe, die zu weit aufs Meer hinausgeflogen ist. Er ist kein Führer. Er war schon immer verloren. Trotz seiner zauberischen Macht vermochte er nie, den Weg vor sich liegen zu sehen, er sah immer nur sich selbst.«
    Arren verstand nicht alles, was Sperber sagte, und er verspürte auch nicht den Wunsch danach, noch nicht jedenfalls. Er war nur ein kleines Stück in diese ›Dunkelheit‹ gelockt worden, von der die Zauberer sprachen, und er wünschte, daß er sie vergessen könnte. Er wollte nichts mehr damit zu tun haben. Deswegen wollte er auch nicht schlafen, denn er hatte Angst, daß er sie in seinen Träumen wiedersehen und dieser dunklen Gestalt begegnen würde, diesem Schatten, der ihm eine Perle entgegenhalten und flüstern würde: »Komm!«
    »Warum …?« seine Gedanken waren schon wieder bei einer anderen Frage, »warum …?«
    »Schlaf jetzt!« sagte Sperber, leicht verzweifelt.
    »Ich kann nicht, wirklich. Warum haben Sie die anderen Sklaven nicht befreit?«
    »Ich habe sie befreit. Keiner war mehr gefesselt an Bord des Schiffes.«
    »Aber die Leute, die Egre dienten, die waren bewaffnet. Wenn Sie die gefesselt hätten …«
    »Wenn ich die gefesselt hätte? Es waren ja nur sechs. Die Ruderer waren gefesselt, wie du. Egre und seine Leute sind vielleicht schon tot oder von den anderen gefesselt worden, um ihrerseits als Sklaven verkauft zu werden. Diese anderen befreite ich, und es steht ihnen somit frei, zu tun, was sie wollen, zu kämpfen oder zu handeln. Ich bin kein Sklavenbefreier aus Berufung.«
    »Aber Sie wissen, daß Sklavenhalter böse Menschen sind.«
    »Bedeutet das, daß ich auch so handeln muß wie sie? Sollte ihre Schändlichkeit mein Tun beeinflussen? Muß ich mich nach ihnen richten? Ich treffe keine Entscheidungen für sie, und ich werde auch nicht zulassen, daß sie meine Entscheidungen bestimmen.«
    Arren schwieg und dachte über diese Worte nach. Nach einer Weile fuhr der Magier mit leiser Stimme fort: »Siehst du jetzt ein, Arren, daß eine Handlung, wie junge Menschen es glauben, nicht wie ein Felsbrocken ist, den man aufhebt und fortwirft, und der entweder das Ziel trifft oder es verfehlt. Nein, wenn dieser Brocken aufgehoben wird, dann wird die Erde leichter, und die Hand, die ihn hält, wird schwerer. Wenn er geworfen

Weitere Kostenlose Bücher