Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
weiß, worüber ich rede. Also – warum wird in der Stadt Hort und in Narveduen und vielleicht überall in den Bereichen keine Magie mehr gewirkt? Zogen wir nicht aus, um die Antwort darauf zu finden?«
    »Doch.«
    »Hast du schon die Redensart gehört: Die Bereiche haben ihre eigenen Gesetze? Leute, die zur See fahren, sagen das oft, aber eigentlich wurde die Redensart von einem fahrenden Magier geprägt, und sie bedeutet nichts anderes, als daß Magie vom Ort abhängt. Eine Formel, die in Rok wirkt, ist vielleicht völlig wirkungslos auf Iffisch. Die Ursprache, die Sprache des Schöpfens, hat sich nicht überall gleich gut erhalten, hier ein Wort und da ein Wort. Und wenn ein Zauber gewirkt wird, so spielen Wind, Wasser und Erde und das Licht, das auf den Ort fällt, eine Rolle. Einmal bin ich ganz weit nach Osten gesegelt und weder Wind noch Wasser folgten dort meinem Befehl, sie kannten ihre wahren Namen nicht; es ist aber auch möglich, daß es mir an Wissen mangelte.
    Die Welt ist riesengroß, das Meer erstreckt sich weiter, als wir es je werden erforschen können, und es gibt Welten außerhalb dieser Welt. Und über diesen Abgründen von Zeit und Raum, glaube ich, behält kein Wort seine ureigentlichste Bedeutung und Macht, außer dem Ersten Wort, das Segoy sprach, als er alles schuf, oder dem Letzten Wort, das noch nicht, und erst dann gesprochen wird, wenn alles sein Ende gefunden hat … Und so gibt es selbst hier auf der Erdsee, auf den vielen kleinen Inseln, die wir kennen, Unterschiede und Geheimnisse. Und am unbekanntesten und geheimnisvollsten ist der Südbereich. Nur ganz wenige Zauberer der Innenländer sind schon hergekommen und kennen die Menschen hier. Zauberer sind hier nicht willkommen, denn – so wird behauptet – die Menschen hier besitzen ihre eigene magische Kunst. Aber die Gerüchte sind vage, und es kann gut sein, daß die magische Kunst hier nie recht Fuß gefaßt hat, nie recht verstanden wurde. Wenn das der Fall ist, könnte sie leicht von jemandem, der es darauf abgesehen hat, ganz zunichte gemacht werden, viel leichter jedenfalls als unsere Zauberkunst in den Innenländern. Und zu uns dringt nur die Kunde, daß die Magie im Süden verschwunden sei.
    Dort, wo es Selbstbeherrschung gibt, dort wirkt unsere Kunst stark und tief; aber dort, wo die Richtung und das Ziel fehlen, dort bleiben die Taten der Menschen oberflächlich und haben keine nachhaltige Wirkung. Denk an die dicke Frau mit ihren Spiegeln! Sie hat ihre Macht verloren, und nun glaubt sie, daß sie nie Macht besessen hat. Und Hase nimmt Hazia und bildet sich ein, weiter zu wandern als der größte Magier, und dabei verirrt er sich bereits in den alleräußersten Gefilden des Traumes … Aber wohin glaubte er zu gehen? Was sucht er? Warum hat er seine Zaubermacht verloren? Von der Stadt Hort, glaube ich, hatten wir genug, und deswegen wenden wir uns jetzt nach Süden, nach Lorbanery, um herauszufinden, was wir herausfinden müssen … Habe ich deine Fragen beantwortet?«
    »Ja, aber …«
    »Dann laß den Stein eine Weile in Ruhe!« sagte der Magier. Er saß beim Mast im gelblichen, glänzenden Schatten unter dem Sonnensegel und schaute hinaus aufs Meer, gegen Westen, während das Boot den ganzen Nachmittag lang auf südlichem Kurs dahinglitt. Er saß aufrecht und reglos. Die Stunden verstrichen. Arren ging ein paarmal schwimmen. Er ließ sich vom Heck des Bootes aus geräuschlos ins Wasser gleiten, er wollte nicht an diesem dunklen Blick vorbeigehen, der gen Westen gerichtet war und weiter als die helle Linie des Horizonts, weiter als die blaue Luft, weiter als das Licht selbst zu reichen schien.
    Sperber kehrte endlich aus dem Schweigen zurück und sprach doch nicht mehr als ein gelegentliches Wort. Arren war so erzogen, daß er hellhörig für die Gemütsstimmungen eines Menschen war, er spürte, wenn ein Mensch aus Höflichkeit oder Zurückhaltung seine wahren Gefühle verbergen wollte. Er wußte, daß das Herz seines Gefährten schwer war. Er stellte keine weiteren Fragen mehr. Als es dunkel wurde, fragte er: »Würde es Sie stören, wenn ich singe?« Sperber bemühte sich zu scherzen und sagte: »Das hängt vom Singen ab.«
    Arren saß mit dem Rücken gegen den Mast gelehnt und sang. Seine Stimme war nicht mehr so hoch und klar wie vordem, als der Musikmeister in der Halle zu Berila ihn unterrichtet und auf seiner großen Harfe begleitet hatte; die hohen Töne waren nicht mehr so glockenhell, sie waren voller

Weitere Kostenlose Bücher