Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
es fliegende Fische, und man behauptet, daß es auch singende Delphine gäbe. Aber das Wasser ist warm und einladend, und ich habe ein Abkommen mit den Haifischen geschlossen. Wasch den Rest vom Dreck des Sklaventransportes von dir ab!«
Jeder Muskel schmerzte ihn, und Arren bewegte sich zunächst nur mit Widerwillen. Auch war er ein ungeübter Schwimmer, denn die See um Enlad herum ist nicht einladend, und im Kampf mit ihr ermüdet man rasch. So kommt das Schwimmen gewöhnlich zu kurz. Das Meer hier war tiefblau und kalt, als er hineinsprang, doch die Kälte verging rasch, und es war herrlich, sich im Wasser zu bewegen. Er tummelte sich an der Seite der Weitblick wie eine junge Seeschlange. Das Wasser sprühte hoch auf wie eine Fontäne. Sperber gesellte sich zu ihm, seine Züge waren kräftiger. Die Weitblick , die weißen Flügel über das glänzende Wasser gebreitet, wartete auf sie, geduldig und schützend. Wieder schnellte sich ein Fisch in die Luft, Arren folgte ihm; der Fisch tauchte unter, schnellte sich wieder empor, schwamm in der Luft, flog durch die See und folgte Arren.
Der Junge, biegsam und golden im hellen Sonnenschein, vergnügte sich im Wasser, bis die Sonne das Meer berührte. Der Mann, dunkel und sehnig, schwamm mit den ruhigen, gelassenen Zügen, mit der ausgewogenen Kraft des Alters. Er hielt das Boot auf Kurs, spannte ein behelfsmäßiges Sonnensegel aus Leinwand auf und blickte liebevoll sowohl auf den schwimmenden Jungen als auch auf den fliegenden Fisch.
»Wo fahren wir jetzt hin?« fragte Arren später, als die Dämmerung schon hereingebrochen war und er sich an Salzfleisch und Brot gütlich getan hatte; er war schon wieder müde.
»Lorbanery«, antwortete Sperber, und die klangvollen Silben dieses Wortes waren das letzte, was Arren an diesem Abend vernahm. Sie woben sich durch seine Träume. Er träumte, daß er durch Berge von weichem Zeug watete, rosa, goldenen und himmelblauen Fetzen und Fäden, und es ihm großen Spaß machte; jemand sagte zu ihm: »Das sind die Seidenfelder von Lorbanery, und hier wird es nie dunkel.« Doch später in der Nacht, als er die Sterne des Herbstes am Himmel des Frühlings scheinen sah, träumte er, daß er sich in einer Ruine befand. Alles war trocken hier, mit Staub bedeckt und mit Spinnweben verhangen. Arrens Beine waren in den Spinnweben verstrickt, sein Mund und seine Nasenlöcher waren davon bedeckt, und er konnte nicht mehr atmen. Doch das schlimmste war, daß er den hohen, zerstörten Raum wiedererkannte: Es war der Saal im Großhaus von Rok, wo er mit den Meistern das Frühstück eingenommen hatte.
Erschrocken wachte er auf, sein Herz pochte heftig, seine Beine, die gegen die Ruderbank gepreßt waren, schmerzten. Er setzte sich auf und versuchte, den schrecklichen Traum zu vergessen. Im Osten war es noch nicht hell geworden, doch die Dunkelheit schien dort nicht mehr so dicht zu sein. Der Mast knarrte, das Segel, prall gefüllt von einer frischen Brise aus Nordosten, schimmerte schwach und hoch über ihm. Sein Gefährte lag im Heck und schlummerte ruhig und friedlich. Arren legte sich wieder nieder und fiel in einen leichten Schlaf, bis der helle Tag ihn weckte.
Die See schien noch blauer und ruhiger als am Vortag zu sein. Nie hätte er sich das Meer so vorgestellt! Das Wasser war so angenehm und klar, daß ihm das Schwimmen wie ein Gleiten oder Schweben in Luft vorkam, es hatte etwas Träumerisches an sich.
Während der Mittagszeit fragte er: »Geben Zauberer viel auf Träume?«
Sperber angelte. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf die Angelschnur gerichtet. Nach einer Weile erwiderte er »Warum?«
»Ich wüßte gerne, ob sie je wahr sind.«
»Aber sicher.«
»Sagen sie die Zukunft voraus?«
Aber der Magier hatte gespürt, wie ein Fisch angebissen hatte, und zehn Minuten später, als er ihr Mittagessen, einen prächtigen, silberblauen Barsch, neben sich gelandet hatte, war die Frage vergessen.
Am Nachmittag, als sie sich unter dem Sonnensegel, das sie vor der brennenden Sonne schützte, ausgestreckt hatten, fragte Arren: »Was suchen wir in Lorbanery?«
»Das, was wir suchen.«
Nach einer Weile sagte Arren: »In Enlad erzählt man die Geschichte von dem Jungen, dessen Schulmeister ein Stein war.«
»O ja? … Was hat der von ihm gelernt?«
»Keine Fragen zu stellen.«
Sperber schnaubte, und es klang, als müßte er ein Lachen unterdrücken, dann setzte er sich auf. »Na gut«, sagte er. »Im allgemeinen rede ich ja erst, wenn ich
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