Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
und Wetter handhaben, sie kannten die Heilkräuter, sie waren bewandert in Illusionskünsten mit Nebel, Licht und Verwandlungen, mit denen sie Uneingeweihte beeindrucken konnten, die aber letzten Endes doch nichts weiter als Tricks waren. Die Wirklichkeit blieb unangetastet. Magische Kunst gab keinem Menschen Macht über einen anderen, und gegen den Tod war auch sie wirkungslos. Magier lebten auch nicht länger als gewöhnliche Menschen. All ihren geheimen Worten gelang es nicht, ihre Sterbestunde auch nur für kurze Zeit hinauszuschieben.
Selbst in alltäglichen Dingen konnte man nur wenig damit anfangen. Sperber geizte immer sehr mit seinen Künsten, sie segelten mit dem Wind der Welt, wann immer es möglich war, sie fischten, um sich zu ernähren, und mit dem Wasser war er so sparsam wie jeder andere Seemann. Nach vier Tagen ununterbrochenen Kreuzens in einem unbeständigen Gegenwind fragte Arren, ob er nicht einen kleinen achterlichen Wind in ihre Segel rufen könne, und als Sperber den Kopf schüttelte, fragte Arren: »Warum nicht?«
»Ich würde von keinem kranken Menschen verlangen, daß er ein Wettrennen laufe«, sagte Sperber, »und ich würde auch keinen Stein auf einen Rücken legen, der sich unter einer schweren Last krümmt.« Es war nicht klar, ob er von sich selbst oder der Welt im allgemeinen sprach. Seine Antworten kamen immer widerwillig heraus und blieben immer schwer verständlich. Das, dachte Arren, war im Grunde die ganze Zauberkunst: auf gewichtige Dinge anspielen, in Wirklichkeit aber doch nichts sagen und Nichtstun als die Krone der Weisheit hinstellen.
Arren hatte versucht, Sopli zu meiden, aber das war unmöglich; es kam sogar bald so weit, daß er in ihm eine Art Verbündeten sah. Sopli war nicht so verrückt, oder wenigstens nicht so einfach verrückt, wie sein wildes Haar und seine bruchstückhafte Rede es vermuten ließen. Das Verrückteste an ihm war seine maßlose Furcht vor dem Wasser. Es mußte ihn ungeheuren Mut gekostet haben, in das Boot zu steigen, und seine Furcht hatte sich seither kaum gelegt; er hielt seinen Kopf dauernd gesenkt, hauptsächlich, um nicht auf das Wasser blicken zu müssen, das sich unaufhörlich um ihn herum hob und senkte. Das Aufstehen machte ihn schwindlig, und er klammerte sich am Mast fest. Als Arren das erste Mal einen Kopfsprung vom Boot aus ins Wasser machte, schrie Sopli voll Entsetzen auf; als Arren ins Boot zurückgeklettert kam, sah der arme Kerl ganz grünlich aus vor Angst. »Ich dachte, du wolltest dich ertränken«, sagte er, und Arren mußte lachen.
Am Nachmittag des gleichen Tages, als Sperber meditierend im Boot saß und nicht wahrnahm, was um ihn herum vor sich ging, kam Sopli vorsichtig über die Ruderbank zu Arren gerutscht. Er sagte leise: »Du willst nicht sterben, oder?«
»Natürlich nicht.«
»Er will«, sagte Sopli und bewegte sein Kinn leicht in Sperbers Richtung.
»Warum sagst du das?«
Arren sprach in einem gebieterischen Ton mit ihm, der ihm völlig angemessen schien, und den Sopli auch als ganz natürlich hinnahm, obwohl er mindestens zehn bis fünfzehn Jahre älter war als Arren. Er antwortete bereitwillig und ziemlich ruhig, doch war seine Rede, wie immer, unzusammenhängend. »Er will zu dem geheimen Ort gelangen … Ich weiß aber nicht, warum. Er will nicht … Er glaubt nicht an das … das Versprechen.«
»Welches Versprechen?«
Sopli warf ihm einen kurzen Blick zu; etwas von seiner verlorenen männlichen Würde schien gekränkt zu sein. Doch Arrens Wille war stärker. Er antwortete flüsternd: »Du weißt doch … Das Leben … das ewige Leben.«
Arrens Körper durchlief es eiskalt. Er erinnerte sich an seine Träume: das Moor, der runde Schacht, die Felsen, das trübe Licht. Das war der Tod, das Grauen des Todes. Ihm mußte er entrinnen, dieser Ausweg war es, den er suchte. Und auf der Schwelle zur Unterwelt stand eine Gestalt, von Schatten eingehüllt, die ihm ein kleines Licht, nicht größer als eine Perle, entgegenhielt, das glimmende Licht unsterblichen Lebens.
Zum ersten Mal blickte Arren in Soplis Augen: sie waren hellbraun und ganz klar, und er sah darin, daß er endlich verstanden hatte und daß Sopli dieses Wissen mit ihm teilte.
»Er«, sagte der Färber, und wiederum zuckte sein Kinn in Sperbers Richtung, »er will seinen Namen nicht hergeben. Und niemand kann seinen Namen dorthin mitnehmen. Der Weg ist viel zu schmal.«
»Hast du ihn gesehen?«
»Im Dunkel, in meinem Geist. Das genügt
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