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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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hat die Formel vergessen, die wir beim Färben benutzten, und das hat sie nicht verkraftet. Sie wollte sterben, aber ich hab’ gesagt, sie soll warten, bis ich den Ort gefunden hab’. Es muß einen geben. Wenn die Toten in diese Welt zurückkehren können, dann muß es irgendwo einen Ort geben, wo sie eintreten.«
    »Kommen die Toten zurück ins Leben?«
    »Ich hab’ gedacht, daß du das weißt«, sagte Sopli nach einer Pause und schaute Sperber prüfend von der Seite an.
    »Ich versuche, es herauszufinden.«
    Sopli erwiderte nichts. Der Magier schaute ihm plötzlich voll ins Gesicht, seine Augen waren forschend und zwingend auf ihn gerichtet, doch seine Stimme war sanfter als zuvor: »Sopli, willst du herausfinden, wie man ewig weiterleben kann?«
    Sopli blickte kurz auf, dann barg er seinen zerzausten, braunroten Haarschopf in den Armen und schaukelte sich hin und her, während er mit den Händen seine Fesseln umklammert hielt. Diese Stellung schien er immer einzunehmen, wenn er sich ängstigte, und hatte er sich erst eingerollt, war er nicht mehr ansprechbar und schien auch nicht wahrzunehmen, was um ihn herum vorging. Arren wandte sich angewidert zur Seite, Soplis Benehmen stieß ihn ab. Wie konnten sie tage- oder wochenlang mit Sopli in einem sechs Meter langen Boot zubringen? Es war, als ob man den gleichen Körper mit einer von Krankheit zersetzten Seele zu teilen hätte.
    Sperber kam nach vorne und ließ sich mit einem Knie auf der Ruderbank nieder. Er schaute in das gelbliche Abendlicht und sagte: »Der Mann hat ein weiches Herz.«
    Arren gab keine Antwort. Er fragte nur: »Was ist Obehol? Den Namen habe ich noch nie gehört.«
    »Ich kenne nur den Namen der Insel und weiß, wo sie auf der Seekarte liegt … Schau her, die Gefährten von Gobardon!«
    Der große topasfarbene Stern stand jetzt höher im Süden und unter ihm erhoben sich, aus dem trüben Dunst über dem Meer aufsteigend, zwei weitere Sterne, ein weißer Stern links und ein bläulich-weißer rechts, und formten ein Dreieck mit Gobardon.
    »Wie heißen sie?«
    »Meister Namengeber wußte es nicht. Vielleicht wissen es die Leute auf Obehol und Wellogy. Ich kenne sie nicht. Wir befinden uns auf fremden Meeren, Arren, und wir segeln unter dem Zeichen des Endens.«
    Der Junge antwortete nicht. Er schaute mit Widerwillen auf die hellen, namenlosen Sterne, die über dem endlosen Wasser erstrahlten.
    Die Tage verstrichen. Sie segelten immer weiter nach Westen; die südliche Frühlingssonne lag warm auf dem Wasser, und ein heller Himmel wölbte sich über ihnen. Doch Arren kam es vor, als sei das Licht gedämpft, wie Licht, das schräg durch Glas fällt. Die See war lauwarm und wenig erfrischend, wenn er darin schwamm.
    Ihre eingesalzenen Nahrungsmittel schmeckten fad. Alles Frische, alles Klare war verschwunden, das Tageslicht selbst schien getrübt, nur die Nächte waren wie früher, ja, es schien sogar, als ob die Sterne hier in einem helleren Glanz funkelten als anderswo. Er legte sich auf den Rücken und schaute hinauf zu ihnen, bis ihn der Schlaf überkam. Und wenn er eingeschlafen war, dann kam der Traum: immer wieder der gleiche Traum vom Moor, oder vom runden Schacht, oder von einem Tal, das von hohen Felswänden umgeben war, oder einem Weg, der unter einem tiefverhangenen Himmel immer weiter abwärts führte; alles lag in einem Halbdunkel, und er sah sich stets umgeben von einem Grauen und Entsetzen, dem er vergeblich zu entrinnen suchte.
    Mit Sperber sprach er nie darüber. Er sprach überhaupt nur Belangloses mit ihm, meist hing es mit dem täglichen Segeln zusammen; Sperber, aus dem man schon immer jedes Wort hatte herausquetschen müssen, schwieg nun dauernd.
    Arren sah jetzt ein, welch ein Narr er gewesen war, als er sich mit Leib und Seele diesem ruhelosen, verschwiegenen Mann anvertraut hatte, der sich von jähen Entschlüssen führen ließ, keinerlei Anstrengung machte, sein Leben vernünftig zu führen, und selbst dem Tode nicht auszuweichen schien. Eine verwegene Stimmung war über Sperber gekommen, und Arren glaubte den Grund dafür zu wissen: Sperber wollte sein eigenes Versagen nicht wahrhaben – das Versagen der Zauberkraft, wollte nicht wahrhaben, daß sie keine Macht mehr hatte.
    Den Hütern der Geheimnisse aller Zauberkunst wurde bewußt, daß es mit der magischen Kunst, von der Sperber und all seine Vorgänger an Zauberern und Hexenmeistern so viel Aufhebens gemacht hatten, im Grunde wenig auf sich hatte. Sie konnten Wind

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