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Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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wandte sich zum Häuptling des Floßvolks, um ihm zu danken und sich zu verabschieden. Dann schritt er über drei Flöße – von der vergangenen Nacht her lagen sie noch nahe beisammen –, bis er dasjenige erreichte, an dem die Weitblick angebunden war. Leer auf den Wellen schaukelnd war ihr Boot der Floßstadt auf ihrem langsamen Treck nach Süden gefolgt. Die Kinder der Hohen See hatten sein leeres Wasserfaß mit aufgefangenem Regenwasser gefüllt und es mit Vorräten versorgt. Das war ihre Art, den Gast zu ehren, den viele unter ihnen als einen jener Großen ansahen, die zuweilen Menschengestalt anstatt die eines Walfisches annahmen. Als Arren zum Boot kam, hatte Sperber schon das Segel gesetzt. Arren löste das Seil und sprang ins Boot, und im gleichen Moment drehte die Weitblick vom Floß ab, und die Segel füllten sich mit einer steifen Brise, obgleich ansonsten nur der schwache Wind des frühen Morgens über das Wasser fächelte. Das Boot legte sich auf die Seite und flog nach Norden, der Spur des Drachens folgend, so leicht wie ein vom Winde gejagtes Blatt.
    Als Arren zurückblickte, sah er die Floßstadt weit in der Ferne liegen, wie winzige Stückchen Holz schwammen sie auf dem Wasser: die Pfosten und Hütten, die sich auf den Flößen erhoben. Bald verschwanden auch sie in der glitzernden Helle, die der frühe Morgen über das Wasser ausgoß. Die Weitblick flog wie ein Pfeil über die Wellen. Wenn der Bug das Wasser zerteilte, stob Gischt auf. Der Wind blies Arrens Haar zurück, und er mußte seine Augen zusammenkneifen, um sie zu schützen.
    Kein Wind der Welt hätte das Boot mit dieser Geschwindigkeit über das Wasser jagen können, höchstens ein Sturm, doch dann hätte die Gefahr bestanden, daß es an den Wellen zerschellte. Aber dies war kein irdischer Wind, sondern das Wort und die Macht des Magiers; und sie jagten das Boot mit Pfeilesschnelle über das Meer.
    Der Magier stand lange am Mast und blickte prüfend in die Ferne. Endlich setzte er sich an seinen gewohnten Platz bei der Ruderpinne, auf die er seine Hand legte, und schaute Arren an.
    »Das war Orm Embar«, sagte er, »der Drache von Selidor, ein Nachkomme des großen Orm, der Erreth-Akbe tötete, aber durch ihn auch fiel.«
    »War er auf der Jagd?« fragte Arren, denn er war nicht sicher, ob der Magier den Drachen willkommen geheißen oder ihm gedroht hatte.
    »Er forschte nach mir. Wenn Drachen etwas suchen, finden sie es auch. Er kam und bat mich um Hilfe.« Er lachte kurz auf. »Und wenn mir das jemand gesagt hätte, niemals hätte ich es geglaubt, daß ein Drache je einen Menschen um Hilfe bitten würde! Und noch dazu gerade dieser! Obgleich sehr alt, ist er nicht der älteste unter ihnen, wohl aber der Mächtigste. Er verbirgt seinen Namen nicht, wie das die anderen Drachen und die Menschen tun müssen, denn er braucht nicht zu fürchten, daß irgendein Geschöpf, Mensch oder Tier, Macht über ihn erlangen könnte. Ganz gegen die Art von Drachen betrügt er niemals. Vor langer Zeit, auf Selidor, schenkte er mir das Leben und offenbarte mir ein großes Geheimnis: er verriet mir, wo die fehlende Hälfte der Königsrune verborgen lag. Ihm verdanke ich den Ring von Erreth-Akbe. Aber nie fiel mir ein, ihm das auch zu entgelten oder einem solchen Gläubiger etwa Dank zu schulden.«
    »Was wünscht er?«
    »Daß ich ihm den Weg zeige, den ich selbst noch suche«, sagte der Magier; seine Stimme war hart geworden. Und nach einer Weile fügte er hinzu. »Er sagte: ›Im Westen erhebt sich ein anderer Drachenfürst; er bringt Zerstörung über uns alle, und seine Macht übersteigt die unsere.‹ Und ich fragte: ›Selbst größer als deine, Orm Embar?‹ und er bekannte: ›Selbst größer als meine. Ich brauche deine Hilfe. Folge mir eilends!‹ Und so gebeten, folge ich.«
    »Doch mehr wissen Sie nicht?«
    »Ich werde bald mehr wissen.«
    Arren rollte das Ankertau zusammen, verstaute es und verrichtete andere kleine Arbeiten im Boot. Er versuchte ruhig zu bleiben, doch es fiel ihm schwer. Die Ereignisse dieses Morgens und das Aufregende im Kommenden ließen sein Herz höher schlagen, und diese Spannung sang in seiner Stimme wie eine angezogene Bogensehne, als er schließlich meinte: »Das ist ein besserer Führer als die vorigen.«
    Sperber schaute ihn an und lachte: »Stimmt«, bestätigte er. »Ich glaube auch nicht, daß wir dieses Mal irregehen werden.«
    Und so begannen die beiden ihre große Fahrt über das Meer. Mehr als tausend

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