Der Erdsee Zyklus Bd. 3 - Das ferne Ufer
kommen. Es flog so hoch, daß die Strahlen der Sonne, die noch verborgen hinter dem Horizont war, sich in seinen Schwingen fingen und sie golden aufleuchten ließen, während er mit mächtigen Flügelschlägen die Luft zerteilte. Arren sah ihn zuerst und deutete mit einem Ausruf des Erstaunens hinauf. Da schaute auch der Magier überrascht auf. Sein Gesicht spiegelte eine tiefe innere Bewegung wider. Er rief laut aus: »Nam Hietha Arw Ged Arkvaissa!« – was von der Ursprache in die Umgangssprache übertragen heißt: »Wenn du Ged suchst, so findest du ihn hier!«
Mit donnerndem Getöse, wie ein riesiges goldenes Senklot, die Flügel weit und hoch ausgestreckt, mit Krallen, die einen Ochsen packen konnten, als wäre er eine Maus, und zwei langen, rauchenden, aus der Nase züngelnden Flammen ließ sich der Drache wie ein Falke auf dem plötzlich heftig schaukelnden Floß nieder.
Das Floßvolk schrie auf; manche duckten sich, andere sprangen ins Wasser, und wieder andere standen stocksteif und starrten die Erscheinung sprachlos an; sie waren so überwältigt, daß sie ihre Furcht vergaßen.
Der Drache überragte sie gewaltig. Die Spannweite seiner Flügel mußte hundert Fuß oder mehr betragen. Sie waren dünn, durchsichtig, und im hellen Licht des jungen Morgens wirkten sie wie grauer, golddurchsetzter Rauch; sein Körper war nicht weniger lang, doch schmal und sehnig wie der eines Windhundes, doch er bewegte Klauen wie eine Rieseneidechse, und die Schuppen einer Riesenschlange bedeckten ihn. Sein gekrümmtes, rund gebeugtes Rückgrat verlief in Zakken, die Rosendornen ähnelten, nur waren sie auf der höchsten Stelle des Höckers gute drei Fuß hoch und verkleinerten sich zur Schwanzspitze hin, bis sie nicht mehr viel höher als eine Taschenmesserklinge waren. Sie waren grau, und auch die Schuppen hatten die Farbe von Eisen, doch funkelten sie, als seien sie mit Gold durchwirkt. Seine Augen waren grün und geschlitzt.
Getrieben von der Furcht um sein Volk verließ der Häuptling seine Hütte; in seiner Hand hielt er eine Harpune, wie sie das Floßvolk bei der Jagd auf Walfische verwendete: sie war größer als er selbst, und an ihrer Spitze befand sich ein Widerhaken aus Walfischbein. Er legte sie auf seinen muskulösen Arm, zielte auf den nur dünn beschuppten Unterleib des Drachens, der über ihm schwankte, und nahm Anlauf, um seine Waffe mit größter Kraft werfen zu können. Da erwachte Arren aus seiner Erstarrung, stürzte sich auf ihn und hielt seinen Arm fest, und alle beide, mitsamt der Harpune, fielen übereinander. »Wollen Sie ihn mit Ihrer lächerlichen Nadel verärgern?« keuchte Arren. »Lassen Sie den Drachenfürsten erst reden.«
Der Häuptling, sprachlos und außer Atem, starrte erst auf Arren, dann auf den Magier und den Drachen. Es verschlug ihm die Sprache. Der Drache dagegen begann zu sprechen.
Nur Ged, an den seine Worte gerichtet waren, konnte ihn verstehen, denn Drachen reden in der Ursprache, die für sie Umgangssprache ist. Die Stimme war nicht klar, eher zischelnd wie die einer Katze, die leise fauchend ihre Wut ausdrückt, nur viel lauter, und ein Ton lag darin, der einem das Mark erstarren ließ. Wer diese Stimme vernahm, konnte sich nicht mehr fortbewegen: er mußte stillstehen und sie anhören.
Der Magier antwortete kurz, und der Drache sprach wieder, sich über ihm auf flatternden Flügeln erhebend: fast wie eine Riesenlibelle, die in der Luft schwebt, dachte Arren.
Dann sagte der Magier nur ein Wort: »Memeas« – ich werde kommen, und er hob seinen Stab aus Erlenholz in die Höhe. Der Rachen des Drachens öffnete sich weit, und eine lange Rauchfahne rollte spiralförmig daraus hervor. Die goldenen Flügel schlugen laut, und ein gewaltiger Wind erhob sich, der einen Brandgeruch mit sich trug. Dann stieg der Drache majestätisch in die Höhe, kreiste und flog, während sein riesiger Körper den Himmel verdunkelte, Richtung Norden davon.
Auf den Flößen war es still geworden; nur leises Wimmern von Kindern und tröstende Frauenstimmen waren zu vernehmen. Die ins Wasser gesprungenen Männer kletterten, etwas verlegen, wieder zurück auf die Flöße, und die vergessenen Fackeln flackerten rußend in den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.
Der Magier wandte sich zu Arren. Auf seinem Gesicht lag ein Licht, das von tiefer Freude oder großer innerer Erregung herrühren mochte; doch seine Stimme war ruhig: »Jetzt müssen wir gehen, mein Junge. Sag Lebewohl und komm!« Er
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