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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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besaß, waren Falke, Mensch, Magier und noch mehr in ihm – er war etwas, das wir nicht benennen können. So sind wir alle.«
    Das Mädchen, das am Herd saß, ins Feuer blickte, zuhörte, sah den Falken; sah den Mann; sah, wie die Vögel zu ihm kamen, auf seinen Befehl oder wenn er ihren Namen rief, flügelschlagend kamen und mit den scharfen Krallen seinen Arm umklammerten, sah sich als Falken, als wilden Vogel.

Mäuse
    TOWNSEND, DER SCHAFKÄUFER, der Ogions Nachricht zum Hof in Mitteltal gebracht hatte, kam an einem Nachmittag zum Haus des Magiers. »Wirst du jetzt, da Lord Ogion tot ist, Ziegen verkaufen?«
    »Möglicherweise«, antwortete Tenar ausweichend. Sie hatte sich tatsächlich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie weitermachen sollte, wenn sie in Re Albi blieb. Wie jeder Zauberer hatte Ogion seinen Unterhalt bekommen von den Menschen, denen seine Fähigkeiten und seine Macht halfen – in diesem Fall von allen Einwohnern Gonts. Er hätte nur bitten müssen, und was er brauchte, wäre dankbar gegeben worden, eine gute Gegenleistung für das Wohlwollen eines Magiers; aber er mußte nie bitten. Eher mußte er den Überschuß an Nahrung, Kleidung, Werkzeug, Vieh und allen nötigen und unnötigen Bedarfs- und Ziergegenständen verschenken, die ihm angeboten oder die einfach auf seiner Schwelle abgestellt wurden. »Was soll ich denn damit anfangen?« hatte er ratlos gefragt, wenn er mit einem Armvoll empört kreischender Küken, einem Ballen Vorhangstoff oder Töpfen mit eingelegten Rüben dastand.
    Doch Tenar hatte ihren Lebensunterhalt im Mitteltal zurückgelassen. Als sie so plötzlich aufbrach, hatte sie nicht darüber nachgedacht, wie lange sie wegbleiben würde. So hatte sie die sieben Elfenbeinstücke mitgenommen, Flints Schatz; das Geld hätte sie im Dorf ohnehin nur dazu verwenden können, um Land oder Vieh zu kaufen oder ein Geschäft mit einem Händler aus Gonthafen abzuschließen, der den reichen Bauern und kleinen Gutsherrn von Gont Pellawi-Felle oder Seide aus Lorbanery verkaufte. Flints Hof lieferte ihr alles, was sie und Therru zum Essen und Anziehen brauchten; Ogions sechs Ziegen sowie seine Bohnen und Zwiebeln hatten eher seinem Vergnügen als seinen Bedürfnissen gedient. Sie hatte von seiner Vorratskammer gelebt, von den Geschenken der Dorfbewohner, die diese ihr im Andenken an den Magier brachten, und von Tantchen Moors Großzügigkeit. Erst gestern hatte die Hexe gesagt:
    »Schätzchen, die Küken meiner Kragenhenne sind geschlüpft, und wenn sie zu scharren beginnen, bringe ich dir zwei oder drei. Der Magier wollte sie nicht haben, sie waren ihm zu laut und zu dumm, aber was ist ein Haus ohne Hühnchen vor der Tür?«
    Tantchen Moors Hennen betraten und verließen ihr Haus nach Belieben, schliefen auf ihrem Bett und bereicherten die Geruchsmischung in dem dunklen, rauchigen, stinkenden Raum unglaublich.
    »Ich habe eine einjährige braun-weiße Geiß, die eine gute Milchziege abgeben wird«, sagte Tenar zu dem Mann mit dem scharfen Gesicht.
    »Ich habe an die ganze Herde gedacht«, wandte er ein. »Vielleicht. Es sind ja ohnehin nur fünf oder sechs, richtig?«
    »Sechs. Wenn du sie dir ansehen willst – sie grasen dort oben auf der Weide.«
    »Das werde ich tun.« Aber er rührte sich nicht. Natürlich durfte keine Seite Interesse zeigen.
    »Hast du das große Schiff gesehen, das eingelaufen ist?« fragte er.
    Ogions Haus blickte nach Westen und Norden, und man sah von dort aus nur die felsigen Landzungen an der Einfahrt in die Bucht, die Festungsklippen; aber vom Dorf aus konnte man an mehreren Stellen auf die steile, in Schlangenlinien verlaufende Straße nach Gonthafen hinunterschauen und die Kais sowie den ganzen Hafen überblicken. Schiffe zu beobachten, war in Re Albi ein alltägliches Vergnügen. Auf der Bank hinter der Schmiede, von der aus man die beste Aussicht hatte, saßen meist zwei alte Männer, und obwohl sie wahrscheinlich nie im Leben die fünfzehn Zickzack-Meilen der Straße hinunter nach Gonthafen gegangen waren, beobachteten sie die Ankunft und das Ablegen der Schiffe wie ein seltsames und doch vertrautes Schauspiel, das zu ihrer Unterhaltung veranstaltet wurde.
    »Aus Havnor, hat der Junge des Schmieds gesagt. Er war unten im Hafen, um Barren zu kaufen, und ist gestern spät abends zurückgekommen. Er erzählte, daß das große Schiff aus dem Großhafen von Havnor kommt.«
    Wahrscheinlich sprach er, um sie von dem Preis der Ziegen abzulenken, und sein

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