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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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verschlagener Blick hing vermutlich mit der Form seiner Augen zusammen. Aber der Großhafen von Havnor trieb wenig Handel mit Gont, einer abseits liegenden armen Insel, die nur wegen ihrer Magier, Piraten und Ziegen berühmt war; etwas an den Worten ›das große Schiff‹ beunruhigte oder erschreckte sie, sie wußte nicht, warum.
    »Er erzählte auch, daß es in Havnor jetzt einen König gibt«, fuhr der Schafkäufer fort.
    »Das wäre gut«, meinte Tenar.
    Townsend nickte. »Könnte das ausländische Gesindel fernhalten.«
    Tenars ausländischer Kopf nickte freundlich.
    »Aber es gibt Leute in Gonthafen, denen es vielleicht nicht gefallen wird.« Er meinte die Piratenkapitäne von Gont, deren Herrschaft über die nordöstlichen Meere in den letzten Jahren so sehr zugenommen hatte, daß viele der alten Handelsverbindungen mit den zentralen Inseln des Archipels unterbrochen oder aufgegeben wurden; dadurch wurde jeder auf Gont mit Ausnahme der Piraten ärmer, was jedoch nichts daran änderte, daß die Piraten in den Augen der meisten Bewohner von Gont Helden waren. Womöglich war Tenars Sohn Matrose auf einem Piratenschiff. Und dadurch sicherer als auf einem langsamen Handelsschiff. Besser Hai als Hering, wie das Sprichwort lautete.
    »Es gibt immer Unzufriedene, ganz gleich, worum es geht.« Tenar hielt sich instinktiv an die Regeln für ein solches Gespräch, verlor aber allmählich die Geduld, erhob sich und fügte hinzu: »Ich zeige dir die Ziegen. Du kannst sie dir ansehen. Ich weiß nicht, ob wir alle oder überhaupt welche verkaufen werden.« Sie brachte den Mann zum Tor der Geißklee-Weide und ließ ihn dort stehen. Sie mochte ihn nicht. Er konnte nichts dafür, daß er ihr einmal und vielleicht zweimal eine schlechte Nachricht überbracht hatte, aber seine Augen wichen den ihren aus, und sie fühlte sich in seiner Gesellschaft nicht wohl. Sie würde ihm Ogions Ziegen nicht verkaufen. Nicht einmal Sippy.
    Nachdem er gegangen war, ohne ein Geschäft abgeschlossen zu haben, wurde sie unruhig. Sie hatte zu ihm gesagt: ›Ich weiß nicht, ob wir verkaufen werden‹, und es war dumm gewesen, wir statt ich zu sagen; er hatte nicht mit Sperber sprechen wollen, hatte nicht einmal auf ihn angespielt, was ein Mann, der mit einer Frau verhandelte, sonst immer tat, vor allem dann, wenn sie sein Angebot ablehnte.
    Sie wußte nicht, was die Leute im Dorf von Sperber, seiner Anwesenheit und Abwesenheit hielten. Der hochmütige, schweigsame und in mancher Hinsicht gefürchtete Ogion war ihr Magier und ebenfalls ein Dorfbewohner gewesen. Auf Sperber waren sie vielleicht wegen seines Namens stolz; der Oberste Magier, der eine Zeitlang in Re Albi gelebt und wunderbare Dinge getan hatte – auf den Neunzig Inseln einen Drachen überlistet, den Ring von Erreth-Akbe von irgendwoher zurückgebracht –, aber sie kannten ihn nicht. Und er kannte sie nicht. Seit seiner Rückkehr war er nie ins Dorf, immer nur in den Wald, in die Wildnis gegangen. Sie hatte bis jetzt nicht darüber nachgedacht; aber so wie Therru mied er das Dorf.
    Sie hatten bestimmt über ihn gesprochen. Es war ein Dorf, und die Menschen redeten. Der Klatsch über das Tun der Zauberer und Magier hielt sich jedoch in Grenzen. Das Thema war zu unheimlich, das Leben der Mächtigen unterschied sich zu sehr von dem ihren, war zu fremdartig. »Laß es sein«, hatten die Dorfbewohner im Mitteltal gesagt, wenn jemand zu unverblümt über einen gerade anwesenden Wettermacher oder ihren eigenen Zauberer Bucher herzog. »Laß es sein. Er geht seinen Weg, nicht den unseren.«
    Daß sie geblieben war, um einen dieser Mächtigen zu pflegen und ihm zu dienen, war für die Dorfbewohner nichts Fragwürdiges; es war wieder ein Fall von ›Laß es sein‹. Sie war nicht oft im Dorf gewesen; die Leute waren weder freundlich noch unfreundlich zu ihr. Sie hatte einmal in der Hütte der Weberin Fan gewohnt, war der Schützling des alten Magiers gewesen, er hatte Townsend um den ganzen Berg herum nach ihr geschickt; das war alles schön und gut. Aber dann war sie mit dem so schrecklich anzusehenden Kind gekommen; wer würde sich freiwillig am hellichten Tag mit dem Mädchen zeigen? Und welche Frau war bereit, die Schülerin, die Pflegerin eines Zauberers zu sein? Bestimmt war auch hier Hexerei – noch dazu fremde – im Spiel. Aber sie war trotzdem die Frau eines reichen Bauern im Mitteltal, auch wenn er tot und sie seine Witwe war. Wer konnte schon die Denkweise einer Hexe verstehen?

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