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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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Laß es sein, es ist besser, wenn du es sein läßt …
    Sie traf den Obersten Magier von Erdsee, als er am Gartenzaun vorbeiging. »Angeblich ist ein Schiff aus der Stadt Havnor gekommen«, sagte sie.
    Er blieb stehen. Er hatte eine Bewegung gemacht, die er rasch unterdrückte, aber es war der Anfang einer Kehrtwendung gewesen, um wegzulaufen, fortzustürzen, davonzurennen wie eine Maus vor dem Falken.
    »Was ist los, Ged?« fragte sie.
    »Ich kann nicht. Ich kann mich ihnen nicht stellen.«
    »Wem?«
    »Den Männern des Königs.«
    Sein Gesicht war grau geworden, wie bei seiner Ankunft; er sah sich um und suchte ein Versteck.
    Sein Entsetzen war so überwältigend und offenkundig, daß sie nur daran dachte, wie sie ihn beschützen könnte. »Du mußt nicht mit ihnen sprechen. Wenn jemand kommt, werde ich ihn fortschicken. Komm ins Haus. Du hast den ganzen Tag lang nichts gegessen.«
    »Ein Mann war hier«, stellte er fest.
    »Er hat um die Ziegen gefeilscht. Ich habe ihn fortgeschickt. Komm jetzt!«
    Er folgte ihr, und als sie im Haus waren, schloß sie die Tür.
    »Sie können dir nichts anhaben, Ged. Was sollten sie schon vorhaben?«
    Er setzte sich an den Tisch und schüttelte langsam den Kopf. »Nein, nein.«
    »Wissen sie, daß du hier bist?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wovor hast du Angst?« fragte sie, nicht ungeduldig, aber klar und entschieden.
    Er vergrub das Gesicht in den Händen, rieb sich Schläfen und Stirn und blickte zu Boden. »Ich war …«, begann er. »Ich bin nicht …«
    Das war alles, was er herausbrachte.
    Sie unterbrach ihn. »Schon gut, es ist in Ordnung.« Sie wagte nicht, ihn zu berühren, wollte seine Demütigung durch vermeintliches Mitleid nicht noch schlimmer machen. Sie war seinetwegen auf ihn zornig. »Es geht sie nichts an«, fuhr sie fort, »wo du bist oder wer du bist, oder was du tun oder nicht tun willst! Wenn sie zum Schnüffeln kommen, werden sie neugierig wieder heimgehen.« Das war einer von Lerches Sprüchen. Sie sehnte sich plötzlich nach der Gesellschaft einer einfachen, vernünftigen Frau. »Außerdem hat das Schiff möglicherweise gar nichts mit dir zu tun. Es kann sein, daß man Piraten vertreiben will. Es wäre ohnehin gut, wenn der König sich dazu entschlösse … Ich habe hinten im Schrank Wein gefunden, zwei Flaschen; ich möchte wissen, wie lange Ogion sie dort versteckt hielt. Uns beiden täte ein Glas Wein, dazu Brot und Käse sicherlich gut. Die Kleine hat zu Abend gegessen und ist mit Heide auf Froschfang gegangen. Vielleicht gibt es heute abend noch Froschschenkel. Aber jetzt mußt du mit Brot und Käse vorliebnehmen. Und Wein. Ich möchte wissen, woher er stammt, wer ihn Ogion gebracht hat, wie alt er ist.« Sie sprach ohne Unterbrechung; das Geplapper einer Frau ersparte ihm, antworten zu müssen oder ihr Schweigen zu mißdeuten, bis er die schlimmste Scham überwunden, ein wenig gegessen und ein Glas des alten, weichen, roten Weins getrunken hatte.
    »Es ist am besten, wenn ich fortgehe, Tenar«, sagte er. »Bis ich gelernt habe der zu sein, der ich jetzt bin.«
    »Wohin willst du gehen?«
    »Auf den Berg hinauf.«
    »Herumwandern – wie Ogion?« Sie sah ihn an. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit ihm auf den Straßen von Atuan gegangen war und ihn verspottet hatte. »Betteln Zauberer oft?« Und er hatte geantwortet: »Ja, aber sie versuchen, im Austausch dafür etwas zu geben.«
    »Könntest du dich eine Zeitlang als Wettermacher oder als Finder durchbringen?« fragte sie vorsichtig und füllte ihm das Glas.
    Er schüttelte den Kopf, trank vom Wein und blickte weg. »Nein. Nichts dergleichen. Weder noch.«
    Sie glaubte ihm nicht. Sie wollte sich auflehnen, es bestreiten, ihn fragen. Wie kann das sein, wie kannst du das sagen – als hättest du alles vergessen, was du weißt, alles, was du von Ogion, in Rok und auf deinen Reisen gelernt hast! Du kannst die Worte, die Namen, das Handwerkliche deiner Kunst nicht vergessen haben. Du hast gelernt, du hast dir deine Macht verdient! – Sie erlaubte sich nicht, dies alles auszusprechen, aber sie murmelte: »Ich verstehe es nicht. Wie kann alles …«
    »Eine Tasse Wasser«, antwortete er und neigte sein Glas ein wenig, als wolle er den Inhalt ausschütten. Nach einer Weile meinte er: »Ich verstehe nicht, warum er mich zurückgebracht hat. Die Güte der Jungen ist Grausamkeit … Jedenfalls bin ich da und muß weitermachen, bis ich zurückkehren kann.«
    Sie verstand nicht ganz, was er meinte,

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