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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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beschützen, wenn du willst. Aber … Aber die hohen Herren aus der Stadt des Königs sind dort oben …«
    »Dann können sie einmal sehen, wie das einfache Volk lebt«, antwortete Tenar, und Tantchen Moor wich wieder zurück, als hätte der Wind den Funkenschauer eines Feuers in ihre Richtung getrieben.

Worte suchend
    SIE HATTEN SICH in den hellen Schatten des Morgens über den Hang verteilt und mähten die lange Wiese. Drei der Mäher waren Frauen, und Tenar erkannte im Näherkommen, daß von den beiden Männern der eine ein Junge und der andere gebeugt und grauhaarig war. Sie ging die gemähten Reihen entlang und fragte eine der Frauen nach dem Mann mit der Ledermütze.
    »Der von dort unten, bei Thalmund«, antwortete die Mäherin. »Ich weiß nicht, wo er steckt.« Die anderen waren froh über die Unterbrechung und kamen zu den beiden. Keiner von ihnen wußte, wo sich der Mann aus dem Mitteltal befand oder warum er nicht mit ihnen mähte. »Diese Leute bleiben nicht«, erklärte der Grauhaarige. »Faul. Ihr kennt ihn, Missis?«
    »Ohne daß ich es wollte«, erwiderte Tenar. »Er ist um mein Haus herumgeschlichen – hat das Kind erschreckt. Ich weiß nicht einmal, wie er heißt.«
    »Er nennt sich Flinko«, warf der Junge ein. Die anderen sahen sie an oder blickten weg und schwiegen. Sie reimten sich allmählich zusammen, wer sie sein mußte: die kargische Frau im Haus des alten Magiers. Sie waren Pächter des Herrn von Re Albi, den Dorfbewohnern gegenüber mißtrauisch, und standen allem, was mit Ogion zusammenhing, argwöhnisch gegenüber. Sie wetzten die Sensen, wandten sich ab, verteilten sich wieder und machten sich an die Arbeit. Tenar ging an einer Reihe von Nußbäumen vorbei und von dem Feld auf dem Hügel zur Straße hinunter.
    Auf der Straße stand ein Mann und wartete. Ihr Herz setzte kurz aus. Sie ging weiter, ihm entgegen.
    Es war Aspen, der Zauberer vom Herrenhaus. Er stand im Schatten eines Baums am Straßenrand und stützte sich würdevoll auf seinen Stab. Als sie auf die Straße trat, fragte er: »Suchst du Arbeit?«
    »Nein.«
    »Mein Herr braucht Feldarbeiter. Das heiße Wetter wird umschlagen, das Heu muß eingebracht werden.«
    Was er sagte, war für Goha, Flints Witwe, angemessen, und Goha antwortete ihm höflich: »Zweifellos kann Eure Kunst den Regen von den Feldern abhalten, bis das Heu eingebracht ist.« Aber er wußte, daß sie die Frau war, der der sterbende Ogion seinen wahren Namen genannt hatte, und angesichts dieses Wissens waren seine Worte so beleidigend und bewußt falsch, daß sie eine deutliche Warnung darstellten. Sie war im Begriff gewesen, ihn zu fragen, wo sich der Mann Flinko aufhielt. Statt dessen erklärte sie: »Ich bin gekommen, um dem Aufseher mitzuteilen, daß ein Mann, den er als Mäher eingestellt hat, mein Dorf als Dieb und Schlimmeres verließ und nicht zu den Menschen gehört, die der Aufseher in der Nähe des Herrenhauses haben möchte. Aber der Mann ist anscheinend weitergezogen.«
    Sie blickte Aspen ruhig an, bis er sich zusammenriß und antwortete:
    »Ich weiß nichts über diese Leute.«
    An dem Morgen, da Ogion starb, hatte sie Aspen für einen jungen Mann gehalten, einen hochgewachsenen, gutaussehenden Jüngling mit einem grauen Mantel und einem silbernen Stab. Er sah nicht so jung aus, wie sie angenommen hatte, oder er war jung, aber irgendwie vertrocknet und verwelkt. Sein Blick und seine Stimme waren jetzt unverhüllt verächtlich, und sie antwortete ihm mit Gohas Stimme: »Selbstverständlich. Ich bitte um Entschuldigung.« Sie wollte keine Schwierigkeiten mit ihm haben. Sie wollte sich auf den Weg zurück ins Dorf begeben, aber Aspen sagte: »Warte.«
    Sie wartete.
    »›Ein Dieb und Schlimmeres‹, sagst du, aber üble Nachrede ist billig, und die Zunge einer Frau schlimmer als jeder Dieb. Du kommst hier herauf, um böses Blut unter den Feldarbeitern zu machen, verbreitest Verleumdungen und Lügen, die Drachensaat, die jede Hexe hinterläßt. Hast du angenommen, ich wüßte nicht, daß du eine Hexe bist? Glaubst du vielleicht, daß ich, als ich den widerlichen Balg sah, der an dir hängt, nicht wüßte, wie und zu welchem Zweck er gezeugt wurde? Der Mann, der dieses Geschöpf zu vernichten versuchte, hat gut daran getan, aber das Werk sollte vollendet werden. Du stelltest dich einmal gegen mich, über die Leiche des alten Zauberers hinweg, und ich unterließ es damals um seinetwillen und der Anwesenden wegen, dich zu bestrafen. Aber jetzt

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