Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu
aufrecht gehalten wurde wie der Stab eines Zauberers. »Bist du es?« fragte sie.
Er kniete jetzt neben dem schwarzen Ding auf dem Weg.
»Ich glaube, ich habe ihn getötet«, sagte er. Er blickte zurück und stand auf. Von den anderen Männern war nichts zu sehen und zu hören.
»Wo sind sie?«
»Weggerannt. Hilf mir, Tenar!«
Sie hielt das Messer in einer Hand. Mit der anderen ergriff sie den Arm des Mannes, der auf dem Weg zusammengesunken war. Ged faßte ihn unter der Schulter, und sie zogen ihn die Stufe hinauf ins Haus. Er lag auf dem Steinboden der Küche, und das Blut lief ihm wie Wasser aus einem Krug aus der Brust und dem Bauch. Die Oberlippe war von den Zähnen zurückgezogen, und man sah nur das Weiße der Augen.
»Versperr die Tür!« befahl Ged, und sie versperrte sie.
»Im Schrank liegt Leinen«, bemerkte sie, und er holte ein Laken und zerriß es zu Verbänden, die sie immer wieder um Bauch und Brust des Mannes wickelte. Drei der vier Zinken der Mistgabel waren mit voller Kraft in den Mann getrieben worden und hatten drei zackige Blutquellen geöffnet, die tropften und sprudelten, während Ged den Oberkörper des Mannes stützte, so daß sie die Verbände anlegen konnte.
»Was tust du hier? Bist du mit ihnen gekommen?«
»Ja. Aber sie haben es nicht gewußt. Mehr kannst du nicht tun, Tenar.« Er ließ den Körper des Mannes zu Boden gleiten, setzte sich schweratmend auf die Fersen und wischte sich das Gesicht mit dem Rücken der blutigen Hand ab. »Ich glaube, ich habe ihn getötet«, wiederholte er.
»Vielleicht.« Tenar sah zu, wie sich die hellroten Flecken langsam auf dem schweren Leinen ausbreiteten, das die magere behaarte Brust des Mannes und den Bauch umhüllte. Sie stand auf und schwankte; ihr war schwindelig. »Geh zum Feuer«, sagte sie. »Du mußt halbtot sein.«
Sie wußte nicht, wie sie ihn draußen in der Dunkelheit erkannt hatte. Vielleicht an der Stimme. Er trug den dicken Wintermantel der Hirten aus geschorenem Vlies mit der Lederseite nach außen und hatte die gestrickte Hirtenmütze über die Ohren gezogen; sein Gesicht war zerfurcht und wettergegerbt, die Haare lang und eisengrau. Er roch nach Holzrauch, Frost und Schafen. Er zitterte, der ganze Körper bebte. »Geh zum Feuer«, wiederholte sie. »Leg Holz nach.«
Er gehorchte. Tenar füllte den Kessel und schwang ihn an seinem Eisenhaken über die Flammen.
Auf ihrem Rock war Blut, und sie benützte ein in kaltes Wasser getauchtes Stück Leinen, um ihn zu reinigen. Sie reichte Ged das Tuch, damit er sich die Hände vom Blut säuberte. »Was hast du damit gemeint, daß du mit ihnen gekommen bist, sie es aber nicht wußten?«
»Ich kam herunter. Vom Berg. Auf der Straße von den Quellen des Kahedabachs.« Er sprach tonlos, als bekäme er keine Luft, und zitterte so sehr, daß seine Worte undeutlich wurden. »Hörte Männer hinter mir und wich aus. In den Wald. Hatte keine Lust zu sprechen. Ich weiß nicht. Etwas an ihnen. Ich hatte Angst vor ihnen.«
Sie nickte ungeduldig, setzte sich ihm gegenüber an die andere Seite des Herdes und verkrampfte die Hände im Schoß. Der feuchte Rock an den Beinen fühlte sich kalt an.
»Als sie vorübergingen, sagte einer von ihnen: ›Eichenhof.‹ Danach folgte ich ihnen. Einer von ihnen sprach. Über das Kind.«
»Was sagte er?«
Er schwieg. Schließlich sprach er weiter. »Daß er sie zurückholen werde. Sie bestrafen werde, sagte er. Und es dir heimzahlen werde. Weil du sie gestohlen hast. Er sagte …« Er unterbrach sich.
»Daß er auch mich bestrafen werde.«
»Sie sprachen alle. Darüber.«
»Der da ist nicht Flinko.« Sie deutete mit dem Kopf auf den Mann auf dem Boden. »Ist er der …«
»Er hat gesagt, daß sie ihm gehört.« Ged sah ebenfalls den Mann an und dann zum Feuer zurück. »Er liegt im Sterben. Wir sollten Hilfe holen.«
»Er wird nicht sterben«, widersprach Tenar. »Ich werde Eppich am Morgen holen lassen. Die anderen sind noch draußen – wie viele?«
»Zwei.«
»Wenn er stirbt, stirbt er, wenn er lebt, lebt er. Keiner von uns geht hinaus.« Sie sprang von Angst geschüttelt auf. »Hast du die Mistgabel mit hereingebracht, Ged?«
Er zeigte darauf; sie lehnte an der Wand neben der Tür, und die vier langen Zinken glänzten.
Sie setzte sich wieder ans Feuer, aber jetzt bebte sie, zitterte von Kopf bis Fuß, wie er es getan hatte. Er griff über den Herd hinweg und berührte sie am Arm. »Es ist alles in Ordnung.«
»Und wenn sie noch draußen
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