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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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sie. »Der Boden ist wie Eis. Hilf mir, ihn näher zum Feuer zu ziehen.«
    Ged wollte einen Teppich von einer Bank nehmen, die zwischen dem Kamin und dem Korridor stand. »Nimm das nicht, es ist gutes Gewebe«, wandte Tenar ein, trat zum Schrank und holte einen abgetragenen Filzmantel heraus, den sie neben dem Mann ausbreitete. Sie zogen den regungslosen Körper darauf und schlugen den Mantel über ihm zusammen. Die roten Flecken auf den Verbänden waren nicht größer geworden.
    Tenar erhob sich und erstarrte.
    »Therru«, sagte sie.
    Ged sah sich um, aber das Kind war nicht da. Tenar verließ rasch die Küche.
    Das Kinderzimmer, das Zimmer des Kindes, war vollkommen dunkel und still. Sie tastete sich zum Bett und legte die Hand auf die warme Wölbung der Decke über Therrus Schulter.
    »Therru?«
    Das Kind atmete friedlich. Es war nicht aufgewacht. Tenar spürte die Hitze des Körpers in dem kalten Zimmer wie eine Strahlung.
    Als Tenar hinausging, fuhr sie mit der Hand über die Kommode und berührte kaltes Metall: Der Schürhaken, den sie hingelegt hatte, als sie die Läden schloß. Sie trug ihn in die Küche zurück, stieg über den Körper des Mannes und hängte ihn an seinen Haken am Kamin. Dann blickte sie ins Feuer.
    »Ich konnte überhaupt nichts tun. Was hätte ich tun sollen? Hinauslaufen … sofort … schreien und zu Reinbach und Shandy laufen. Sie hätten keine Zeit gehabt, Therru etwas anzutun.«
    »Sie wären mit ihr im Haus gewesen, und du hättest mit dem alten Mann und der Frau draußen gestanden. Oder sie hätten sie aus dem Bett geholt und wären mit ihr davongerannt. Du tatest dein Möglichstes. Was du tatest, war richtig. Alles war richtig abgestimmt. Das Licht aus dem Haus, du kamst mit dem Messer heraus, ich war da – sie konnten die Mistgabel sehen –, und er lag am Boden. Also rannten sie davon.«
    »Die beiden, die noch rennen konnten«, ergänzte Tenar. Sie drehte sich um und bewegte das Bein des Mannes ein wenig mit der Schuhspitze, als wäre er ein Gegenstand, der sie teils neugierig machte, teils abstieß, wie eine tote Kreuzotter. »Du hast das Richtige getan«, sagte sie.
    »Ich glaube, daß er die Gabel überhaupt nicht gesehen hat. Er lief einfach hinein. Es war wie …« Er sagte nicht, wie es gewesen war, sondern meinte: »Trink deinen Tee.« Dann schenkte er sich aus der Kanne ein, die auf den Herdsteinen warm blieb. »Er ist gut. Setz dich«, forderte er sie auf, und sie tat es.
    »Als ich ein Junge war«, fuhr er nach einiger Zeit fort, »überfielen die Kargs mein Dorf. Sie kamen mit Lanzen – lang, an den Schaft waren Federn gebunden …«
    Sie nickte. »Die Krieger der Gottesbrüder.«
    »Ich wirkte einen – einen Nebelzauber. Um sie zu verwirren. Doch einige von ihnen kamen durch. Ich sah, wie einer von ihnen in eine Mistgabel lief – wie der da. Nur durchbohrte sie ihn gänzlich. Unterhalb der Taille.«
    »Du hast eine Rippe getroffen«, erklärte Tenar.
    Er nickte.
    »Das war dein einziger Fehler«, stellte sie fest. Jetzt klapperten ihr die Zähne. Sie trank den Tee. »Was tun wir, wenn sie zurückkommen, Ged?«
    »Das werden sie nicht tun.«
    »Sie könnten das Haus in Brand stecken.«
    »Dieses Haus?« Er betrachtete die Steinwände.
    »Den Heuschuppen …«
    »Sie kommen nicht zurück«, wiederholte er eigensinnig.
    »Nein.«
    Sie hielten vorsichtig ihre Tassen und wärmten sich die Hände daran.
    »Sie hat es verschlafen.«
    »Das ist gut.«
    »Aber sie wird ihn … morgen früh … hier sehen …« Sie starrten sich an.
    »Hätte ich ihn doch getötet! Wenn er doch im Sterben läge!« rief Ged wütend. »Ich könnte ihn hinausziehen und begraben …«
    »Tu es.«
    Er schüttelte nur zornig den Kopf.
    »Was macht es schon aus? Warum … warum können wir es nicht tun?« fragte Tenar.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sobald es hell wird …«
    »Schaffe ich ihn aus dem Haus. Schubkarren. Der alte Mann kann mir helfen.«
    »Er kann nichts mehr heben. Ich werde dir helfen.«
    »Ich werde ihn ins Dorf karren, wie immer ich es anstellen muß. Gibt es hier einen Heiler?«
    »Eine Hexe, Eppich.«
    Plötzlich war sie abgrundtief, unendlich müde. Sie konnte kaum die Tasse in der Hand halten.
    »Es ist noch Tee da«, brachte sie mühsam heraus.
    Er schenkte sich noch eine Tasse ein.
    Das Feuer tanzte in ihren Augen. Die Flammen verschwammen, flackerten auf, sanken zusammen, hoben sich wieder hell ab von dem rußigen Stein, dem dunklen Himmel, dem blassen Himmel,

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