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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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das Haus herumzugehen und es an der Haustür zu versuchen. Sie stand an der Vordertür und verriegelte sie, ohne zu wissen, wie sie dorthin gekommen war. Vielleicht war es ein Alptraum. Sie träumte manchmal, daß sie versuchten, in das Haus zu gelangen, daß sie dünne Messer durch die Türspalten schoben. Die Türen – gab es noch eine Tür, zu der sie hereinkommen konnten? Die Fenster – die Läden der Schlafzimmerfenster … Ihr fiel das Atmen so schwer, daß sie glaubte, sie werde nicht in Therrus Zimmer gelangen, aber sie war dort, sie zog die schweren Holzläden vor das Glas. Die Angeln waren steif, und die Läden knallten zusammen. Jetzt wußten sie es. Jetzt kamen sie. Sie würden zu dem Fenster des nächsten Raums kommen, zu ihrem Zimmer. Sie würden dort sein, bevor sie die Läden schließen konnte. Und sie waren dort.
    Sie sah die Gesichter, verschwommene Flecke, die sich in der Dunkelheit draußen bewegten, als sie den linken Laden aus seinem Haken zu lösen versuchte. Er klemmte. Sie konnte ihn nicht bewegen. Eine Hand berührte das Glas und drückte sich weiß darauf.
    »Da ist sie.«
    »Laß uns hinein. Wir werden dir nichts tun.«
    »Wir wollen nur mit dir sprechen.«
    »Er will nur sein kleines Mädchen sehen.«
    Sie bekam den Laden los und schob ihn über das Fenster. Aber wenn sie das Glas zerbrachen, konnten sie die Läden von außen aufstoßen. Die Befestigung bestand nur aus einem Haken, der nachgeben würde, wenn man Gewalt einsetzte.
    »Laß uns ein, und wir werden dir nichts tun«, wiederholte eine der Stimmen.
    Sie hörte ihre Füße auf dem gefrorenen Boden in den welken Blättern knistern. War Therru wach? Vielleicht hatte sie der Krach der zugeschlagenen Läden geweckt, aber sie hatte keinen Ton von sich gegeben. Tenar stand in der Tür zwischen ihrem und Therrus Zimmer. Es war stockfinster, still. Sie hatte Angst, das Kind zu berühren und zu wecken. Sie mußte bei Therru im Zimmer bleiben. Sie mußte um sie kämpfen. Sie hatte den Schürhaken in der Hand gehabt, wo hatte sie ihn hingelegt? Sie hatte ihn weggelegt, um die Läden zu schließen. Sie konnte ihn nicht finden. Sie tastete in der Schwärze des Raums, der keine Wände zu haben schien, nach ihm.
    Die Vordertür, die in die Küche führte, klapperte im Rahmen.
    Wenn sie den Schürhaken finden konnte, würde sie hier drinnen bleiben und gegen sie kämpfen.
    »Hier!« rief einer von ihnen, und sie wußte, was er gefunden hatte. Er blickte zu dem breiten Küchenfenster hinauf, das keine Läden hatte und leicht zu erreichen war.
    Sie tastete sich sehr langsam, wie ihr vorkam, zu der Tür des Raums. Er diente jetzt Therru als Zimmer. Er war das Zimmer ihrer Kinder gewesen. Das Kinderzimmer. Deshalb befand sich kein Riegel an der Innenseite der Tür. Damit sich die Kinder nicht einsperren konnten und Angst bekamen, wenn der Riegel klemmte.
    Um den Hügel herum, hinter dem Obstgarten, schliefen Reinbach und Shandy in ihrer Hütte. Wenn sie schrie, würde Shandy es vielleicht hören. Wenn sie das Schlafzimmerfenster öffnete und rief … Oder wenn sie Therru weckte, mit ihr aus dem Fenster kletterte und durch den Obstgarten lief … Aber die Männer waren da, genau da, und warteten.
    Es war mehr, als sie ertragen konnte. Die Starre des Entsetzens, die sie gelähmt hatte, verging, und sie lief wütend in die Küche, die für sie in rotes Licht getaucht war, nahm das lange scharfe Fleischmesser vom Block, schob den Türriegel zurück und stand im Türrahmen. »Dann kommt!« rief sie.
    Während sie schrie, heulte jemand auf und sog keuchend die Luft ein, und ein Mann brüllte: »Gib acht!« Ein anderer rief: »Hier! Hier!«
    Dann herrschte Stille.
    Das Licht aus der offenen Tür schoß über das schwarze Eis der Pfützen, glitzerte auf den schwarzen Ästen der Eichen und auf den abgefallenen silbrigen Blättern, und als ihre Augen wieder deutlich sahen, erkannte sie, daß auf dem Weg etwas auf sie zukroch, eine dunkle Masse oder ein Haufen, der zu ihr kroch und hoch und schluchzend jammerte. Hinter dem Licht lief eine schwarze Gestalt, bewegte sich blitzschnell, und lange Klingen blitzten.
    »Tenar!«
    »Bleib stehen!« befahl sie und hob das Messer.
    »Tenar! Ich bin es – Falk, Sperber!«
    »Bleib stehen!« wiederholte sie.
    Die sich schnell bewegende dunkle Gestalt blieb neben der auf dem Weg liegenden schwarzen Masse stehen. Das Licht aus der Tür fiel schwach auf einen Körper, ein Gesicht, eine Mistgabel mit langen Zinken, die

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