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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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sind?«
    »Sie sind davongerannt.«
    »Sie könnten zurückkommen.«
    »Zwei gegen zwei? Wir haben die Mistgabel.«
    Sie flüsterte nur noch, als sie voll Entsetzen sagte: »Die Heckensichel und die Sensen sind im Schuppen neben der Scheune.«
    Er schüttelte den Kopf. »Sie sind davongerannt. Sie sahen – ihn – und dich in der Tür.«
    »Was tatest du?«
    »Er stürzte sich auf mich. Darauf stürzte ich mich auf ihn.«
    »Ich meine vorher. Auf der Straße.«
    »Ihnen wurde beim Gehen kalt. Es begann zu regnen, ihnen wurde kalt, und sie sprachen davon, daß sie hierher wollten. Zuerst redete nur der eine, der von dem Kind und dir sprach, davon, eine Lehre – eine Lehre zu erteilen …« Die Stimme versagte ihm. »Ich bin durstig.«
    »Ich auch. Der Kessel kocht noch nicht. Sprich weiter.«
    Er holte Luft und versuchte, die Geschichte zusammenhängend zu erzählen. »Die anderen beiden hörten ihm kaum zu. Wahrscheinlich kannten sie es schon. Sie hatten es eilig. Sie wollten nach Thalmund. Als liefen sie vor jemandem davon. Flohen. Aber es wurde kalt, und er sprach weiter vom Eichenhof, und der mit der Mütze sagte: ›Gehen wir doch dorthin und verbringen wir die Nacht mit …‹«
    »Mit der Witwe, ja.«
    Ged legte das Gesicht in die Hände. Sie wartete.
    Er blickte ins Feuer und fuhr ruhig fort. »Dann verlor ich sie eine Zeitlang. Die Straße erreichte den Talboden, und ich konnte ihnen nicht so folgen wie bisher, im Wald, dicht hinter ihnen. Ich mußte zur Seite ausweichen, durch die Felder, außer Sichtweite bleiben. Ich kenne die Gegend nicht, nur die Straße. Ich hatte Angst, daß ich mich verirren würde, wenn ich durch die Felder ginge, das Haus verfehlen, daran vorbeigehen würde. Ich kehrte zur Straße zurück und lief beinahe in sie hinein – hier bei der Biegung. Sie hatten den alten Mann gesehen, der vorbeiging. Sie beschlossen zu warten, bis es dunkel wäre und sie sicher wären, daß niemand mehr kam. Sie warteten in der Scheune. Ich blieb draußen. Nur durch die Wand von ihnen getrennt.«
    »Du mußt fast erfroren sein«, sagte Tenar müde.
    »Es war kalt.« Er hielt die Hände ans Feuer, als sei ihm bei der Erinnerung wieder kalt geworden. »Ich fand die Mistgabel neben der Tür des Schuppens. Als sie die Scheune verließen, gingen sie zur Hinterseite des Hauses. Ich hätte zur Vordertür gehen und dich warnen können, das hätte ich tun sollen, aber ich konnte nur daran denken, daß ich sie überraschen mußte – es war mein einziger Vorteil, die einzige Hoffnung … Ich nahm an, daß das Haus versperrt war und sie einbrechen mußten. Aber dann hörte ich, wie sie von hinten eindrangen. Ich folgte ihnen – in den Melkschuppen. Ich konnte gerade noch hinausschlüpfen, als sie zur versperrten Tür kamen.« Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Sie gingen in der Dunkelheit dicht an mir vorbei. Ich hätte ihnen ein Bein stellen können … Einer von ihnen hatte einen Feuerstein und Stahl und zündete ein bißchen Zunder an, wenn er ein Schloß sehen wollte. Sie kamen nach vorn. Ich hörte, wie du die Läden zuzogst; du hattest sie gehört. Sie sprachen davon, das Fenster einzuschlagen, an dem sie dich gesehen hatten. Dann sah der mit der Mütze das Fenster – dieses Fenster …« Er deutete mit dem Kopf auf das Küchenfenster mit dem tiefen breiten Fensterbrett. »Er sagte: ›Gebt mir einen Stein, ich schlage es ein.‹ Und sie kamen zu ihm und wollten ihn auf das Fensterbrett heben. Deshalb stieß ich einen Schrei aus, er ließ sich fallen, und einer von ihnen – dieser da – lief geradewegs auf mich zu.«
    »Ah, ah«, keuchte der Mann auf dem Fußboden, als erzähle er Geds Geschichte weiter. Ged stand auf und beugte sich über ihn.
    »Ich glaube, er stirbt.«
    »Tut er nicht.« Tenar konnte nicht ganz aufhören zu zittern, aber jetzt war es nur ein innerer Schauder. Der Kessel sang. Sie kochte eine Kanne voll Tee und legte die Hände auf den dicken Ton der Kanne, während der Tee zog. Sie schenkte zwei Tassen ein, dann eine dritte, der sie ein wenig kaltes Wasser zusetzte. »Er ist zu heiß zum Trinken«, sagte sie zu Ged, »wart noch eine Minute. Ich will sehen, ob ich ihm Tee einflößen kann.« Sie setzte sich neben dem Kopf des Mannes auf den Boden, hob ihn mit einem Arm hoch, hielt ihm die Tasse mit dem gekühlten Tee an den Mund und schob den Rand zwischen die entblößten Zähne. Die warme Flüssigkeit rann ihm in den Mund; er schluckte. »Er wird nicht sterben«, erklärte

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