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Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 4 - Tehanu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. LeGuin
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getötet.«
    »Welche Frau?« flüsterte Tenar.
    Sie sah Ged an. Er nickte unmerklich.
    Reinbach wollte derjenige sein, der die Geschichte erzählte, und sprach laut weiter. »Ich habe mit einigen Leuten von dort oben gesprochen, die erwähnten, daß sich alle vier in der Nähe von Kahedanan herumtrieben, kampierten und die Gegend unsicher machten; die Frau kam braun und grün geschlagen und mit Brandwunden ins Dorf und bettelte. Die Männer hatten sie so, wie sie aussah, hingeschickt, damit sie bettelte, dann kehrte sie zu ihnen zurück. Sie erzählte den Leuten, daß die Männer sie noch mehr schlagen würden, wenn sie nichts heimbrächte, und die Leute fragten, warum sie denn zurückkehre. Wenn sie nicht zurückkäme, würden die Männer sie holen, erklärte sie, und sie war immer mit ihnen umhergezogen. Doch schließlich gingen die drei Kerle endgültig zu weit und erschlugen sie und schafften die Leiche zu dem alten Trümmerfeld, wo es noch immer stinkt, ließen sie dort liegen und glaubten vielleicht, daß sie damit verbergen könnten, was sie getan hatten. Dann gingen sie fort und kamen gestern nacht hierher. Warum hast du gestern nacht nicht geschrien und gerufen, Goha? Falk sagt, daß sie hier waren und um das Haus herumschlichen, als er sie entdeckte. Ich oder zumindest Shandy hätte es bestimmt gehört, ihre Ohren sind schärfer als die meinen. Hast du es ihr schon erzählt?«
    Tenar schüttelte den Kopf.
    »Ich gehe nur hinüber und erzähle es ihr«, meinte der alte Mann, der sich darüber freute, daß er als erster mit der Nachricht kam, und trampelte über den Hof davon. Auf halbem Weg drehte er sich um. »Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß du dich mit einer Mistgabel nützlich machen kannst!« rief er Ged zu, schlug sich lachend auf den Schenkel und ging weiter.
    Ged streifte die schweren Gamaschen ab, zog die schlammigen Schuhe aus, stellte sie auf die Türstufe und kam in Socken zum Herd zurück. Hose, Weste und Hemd aus selbstgesponnener Wolle: ein gontischer Ziegenhirte mit einem schlauen Gesicht, Adlernase und klaren dunklen Augen.
    »Die Leute werden bald kommen«, meinte er. »Um dir alles zu erzählen und um noch einmal zu hören, was hier geschehen ist. Sie haben die beiden, die davongerannt sind, jetzt in einem leeren Weinkeller eingesperrt, fünfzehn oder zwanzig Männer bewachen sie, und zwanzig oder dreißig Jungen versuchen, einen Blick auf sie zu werfen …« Er gähnte, schüttelte Schultern und Arme, um sie zu lockern, sah Tenar an und bat um die Erlaubnis, sich ans Feuer zu setzen.
    Sie zeigte auf den Kaminplatz. »Du mußt erschöpft sein«, flüsterte sie.
    »Ich habe heute nacht hier ein bißchen geschlafen. Ich konnte nicht wach bleiben.« Er gähnte wieder, blickte zu ihr auf, schätzte ab, wie sie sich fühlte.
    »Es war Therrus Mutter«, sagte sie. Ihre Stimme reichte nicht über ein Flüstern hinaus.
    Er nickte. Er beugte sich im Sitzen ein wenig vor, stützte die Arme auf die Knie, wie Flint es getan hatte, und blickte in das Feuer. Sie waren einander sehr ähnlich und vollkommen unähnlich, so unähnlich wie ein begrabener Stein und ein auffliegender Vogel. Das Herz schmerzte sie, die Knochen schmerzten ihr, und ihr Geist wurde von bösen Ahnungen, Kummer, Erinnerung an die Angst und eine seltsame Leichtigkeit verwirrt.
    »Unseren Mann hat die Hexe«, berichtete er. »Gefesselt, falls er zu lebhaft wird. Die Löcher in ihm sind mit Spinnweben und blutstillenden Zaubersprüchen zugestopft. Sie sagt, daß er am Leben bleiben wird, damit man ihn hängt.«
    »Damit man ihn hängt.«
    »Seit die Gerichte des Königs wieder Recht sprechen, ist es ihre Sache. Hängen oder Sklavenarbeit.«
    Sie schüttelte stirnrunzelnd den Kopf.
    »Du ließest ihn doch nicht einfach laufen, Tenar?« fragte er sanft und beobachtete sie.
    »Nein.«
    »Sie müssen bestraft werden.« Er beobachtete sie noch immer.
    »›Bestraft.‹ Das hat er gesagt. Das Kind bestrafen. Es ist böse. Es muß bestraft werden. Mich bestrafen, weil ich es aufgenommen habe. Weil ich …« Sie kämpfte um Worte. »Ich will keine Bestrafung! Es hätte nicht geschehen dürfen. Du hättest ihn töten sollen!«
    »Ich habe mich redlich bemüht.«
    Nach langer Pause lachte sie unsicher. »Das kann man wohl sagen.«
    Er blickte wieder in die Kohlen. »Denk nur, wie leicht es gewesen wäre, als ich ein Zauberer war. Ich hätte bereits oben auf der Straße einen Fesselungszauber wirken können, bevor sie begriffen,

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