Der erfolgreiche Abstieg Europas
Weltgeschehens fehlt erfahrungsgestütztes antizipierendes Denken in Konsequenzen, eine Ereignisfolgenabschätzung gewissermaßen. Stattdessen werden in den Fernsehnachrichten und in den Leitartikeln symbolische Handlungen in ihrer Bedeutung überschätzt.« 37
Wer also tatsächlich glaubt, wegen vieler Bilder im Fernsehen, im Internet oder per Handy verlässlicher informiert zu werden, der irrt gewaltig. Die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman hat diesen Sachverhalt fast als Gesetz formuliert: »Sobald erst darüber berichtet wird, verstärkt sich die Wirkung jedes auch noch so bedauernswerten Ereignisses um das Fünf- bis Zehnfache (oder jeden anderen Faktor, den der Leser zu nennen beliebt).« 38
Globale Desinformationsstrategen haben sich längst auch der Medien Bild und Film bemächtigt. Der Desinformationsgehalt übersteigt mittlerweile deutlich den Informationsgehalt. Niemand kann mehr sicher sein, dass Bilder wirklich die »Wahrheit« zeigen. Sie werden mit Leichtigkeit technisch frisiert und gekonnt von unsichtbaren Akteuren über das Internet und in offiziellen Medien in globalisierten Propagandakriegen eingesetzt. Wer das Medium Bild beherrscht, beherrscht auch die Schlagzeilen, kann Debatten lostreten und Inhalte bestimmen. Abstumpfungsprozesse tun ein Übriges, um nach kurzen und intensiven Phasen des Erschreckens fast ohne Mühe zur nächsten Katastrophe überzugehen und die Aufmerksamkeit auf neue Ereignisse zu lenken, die sich zumindest für den Augenblick besser vermarkten lassen.
Manch einer scheint auf »Schwarmintelligenz« zu schwören und zu glauben, dass mehr Information automatisch bessere Information sei. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Mengenmäßig überfordert, in ständiger Hetze und dem Druck ausgesetzt, immer online und up to date zu sein, bleibt dem überforderten Individuum keine Chance, hinter die Bilder zu schauen, nach den politischen Interessen der Verbreiter oder schlicht nach ihrem Wahrheitsgehalt zu fragen. Die multimedial unterlegte Beschleunigung nimmt uns die Zeit und den Atem, zu der notwendigen Ruhe zu finden, um nicht nur oberflächliches Tagesgehetze in uns hineinzustopfen, sondern auch die Zeit zum Verdauen und Nachdenken, eben zum kritischen (!) Überprüfen der Informationsfülle im eigenen Kopf zu finden. »Entschleunigung« ist eine notwendige, aber leider kaum beherrschte Kunst des intellektuellen Überlebens im 21. Jahrhundert. Politiker verfügen über diese Fähigkeiten ebenso wenig wie Journalisten oder Wissenschaftler.
Wesentliche Debatten der internationalen Politik, wie man sie tagtäglich in der Presse nachlesen kann, verlaufen letztendlich entlang solcher Oberflächenstrukturen. Sie diskutieren das Aktuelle, das medienwirksam Hektische, das Kurzlebige und Reißerische, aber nicht die wirklich in den Tiefenstrukturen der internationalen Politik ablaufenden langfristigen Entwicklungen.
Das war das vielleicht entscheidende Paradox in der Entwicklung der Informationstechnologie der letzten zehn Jahre: Wir haben deutlich mehr Kommunikation, wir haben deutlich mehr Informationen – und wir wissen doch von immer mehr immer weniger.
Trotzdem stopfen wir Texte in unsere Gebetsmühlen und hoffen, dass sich niemand den Inhalt kritisch anschaut. Wenn man dies dann doch tut, stößt man allerdings sehr schnell auf Widersprüche und Ungereimtheiten, die man eigentlich nur noch offenlegen muss, um eine andere Perspektive gewinnen zu können. Mit Blick auf einige der besonders schwer zu überwindenden Glaubensmuster in der westlichen Debatte um die Veränderungen seit 1989 zeigen sich regelrechte Lebenslügen des Westens. Sie stehen in allen Grundsatzreden, bestimmen den Selbstversicherungskurs maßgeblicher politischer Eliten und werden fast als sakrosankte Setzungen behandelt. Wenn man sie aber gegen den Strich bürstet, zeigt sich ein völlig anderes Bild. An drei Beispielen wollen wir uns dieses Phänomen genauer anschauen.
Der verlorene Krieg gegen den Terror
Der sogenannte »Krieg gegen den Terror« dauert nun schon ein Jahrzehnt. Unter der Administration Obama ist der Kampfbegriff der Regierung George W. Bush zwar im politischen Sprachgebrauch aus der Mode gekommen, aber bei der Verkündung der Tötung von Osama Bin Laden wurde er vom amerikanischen Präsidenten Obama wieder benutzt. In Anbetracht offensichtlich auch nach dem Tod des al-Qaida-Chefs fortbestehender Bedrohungen steht die Bekämpfung von internationalem Terrorismus in allen
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