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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Soldaten tagtäglich beschossen werden, mit scharfer Munition zurückschießen, dabei ihr Leben riskieren und eben auch verlieren – »Fallen« nennt man das gemeinhin in der Umgangssprache des Krieges und nach 60 Jahren ist dieser eigentlich im Deutschen verpönte Begriff wieder in die politische Alltagssprache zurückgekehrt –, dort herrscht eben Krieg. So einfach ist das. Ob die Geschehnisse in die verwobenen Definitionsmuster von Völkerrechtlern und Politikern passen oder nicht, spielt keine Rolle. Schönrednerei hilft am Ende nicht einmal denen, die irrtümlich an die Kraft ihrer eigenen Worte glauben. Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg hat diese Politik deutlich korrigiert. Er sprach von »kriegsähnlichen Zuständen«. Und siehe da, er wurde verstanden, ohne dass ein Aufschrei des Entsetzens durch die Lande zog.
    Verbreitete, weil beliebig einsetzbare Formeln gehören aber auch ansonsten zum Standardrepertoire politischer Sprache. Multilateralismus, von einigen als »effektiver Multilateralismus« noch schöner geredet, oder »strategische Partnerschaften« gehören unbezweifelbar zur Grundausstattung politischer Floskeln, an denen politische Kommunikation gerade in Europa mittlerweile leidet.
    Die bescheidene Wahrheit sieht in beiden Fällen ernüchternd anders aus: Multilateralismus ist natürlich ein wichtiges Prinzip internationaler Zusammenarbeit, aber es funktioniert eben nur so lange, wie alle Beteiligten wirklich kooperieren wollen. Erfahrungsgemäß ist das in den seltensten Fällen und bei den strategisch wirklich wichtigen Fragen praktisch nie der Fall. Man muss das Konzept nicht gleich verwerfen, aber schönreden darf man es auch nicht, wenn man nicht die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen will.
    Ähnliches gilt für strategische Partnerschaften: Kein Land und keine Region der Welt kann heutzutage sicher sein, von der Europäischen Union keine strategische Partnerschaft angeboten zu bekommen. 35 Auch wenn man sich fragt, ob wichtige Grundlagen wie gemeinsame Werte und Interessen, die nach landläufigem Sprachgebrauch wohl nötig wären, um eine »strategische« Partnerschaft zu begründen, tatsächlich mit Ländern wie China, Russland oder gar dem gesamten afrikanischen Kontinent geteilt werden.
    Zur Formulierungstristesse kommt die Bildgetriebenheit. Auf die Frage, warum ausgerechnet CNN nicht schon im Januar 2005, als man entsprechende Informationen hatte, sondern erst vier Monate später im Mai über die Folterungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib berichtete, antwortete Bill Schneider, seinerzeit Chief Anchorman bei CNN, in einer Podiumsdiskussion in der Deutschen Bank in Berlin in entwaffnender Offenheit: »We didn’t have the pictures« (Wir hatten keine Bilder). Und Graham Dudman, der geschäftsführende Herausgeber der britischen Boulevardzeitung Sun , sekundierte mit fast denselben Worten: Befragt, ob man Saddam Hussein nach seiner Verhaftung in Unterwäsche zeigen sollte, sagte auch er: »We didn’t have the pictures.« Und er fügte hinzu: »Sobald wir sie hatten, haben wir sie sofort veröffentlicht.« 36 Seit die Bilder laufen lernten, läuft in den Medien nur noch, was sich auch in Bildern zeigen lässt. Die Quote bestimmt die Qualität. »Bilder vom Krieg erreichen die Herzen der Menschen, Meldungen im Zweifel nur den Verstand«, sagte eine Moderatorin im ZDF und brachte damit die Jagd nach Bildern bei der Suche nach Einschaltquoten auf den Punkt. Die Tageshetze bestimmt das Geschäft mit Informationen und Meinungen, und notwendige Einsichten über größere Zusammenhänge werden so punktuell präsentiert, dass den Konsumenten solcher Nachrichten das große Bild lange Zeit verborgen bleibt. Im März 2011 schaute die Welt im Minutentakt mit angehaltenem Atem nach Japan. Aber schon einen Monat später waren Tsunami und Atomkatastrophe nicht nur aus den Schlagzeilen, sondern fast gänzlich aus den Nachrichten verdrängt. Die Debatte, die zwischenzeitlich abgelaufen war, folgte den immer wieder feststellbaren Mustern im Umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen Katastrophen. Völlig zu Recht wird kritisiert, dass sie »immer noch nach einem nicht aufgeklärten, naiven Muster  [ablaufen], das die Ereignisse Schritt für Schritt begleitet, sich aber offenkundig weigert, hinsichtlich wahrscheinlicher Entwicklungen vorauszudenken und ein ›Worst-Case‹-Szenario zu entwerfen, so wie verantwortungsvolle Unternehmer dies tun. Der allgemeinen Wahrnehmung des

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