Der erfolgreiche Abstieg Europas
um zur Tagesordnung transatlantisch bestimmter Weltpolitik zurückkehren zu können. Er schreibt: »Dass der 2001 erklärte ›War on Terror‹ konzeptionell und auf dem Terrain seine Schwächen hat (sic!, E. S.), ins Uferlose geht und damit in Rückschläge, Enttäuschungen und Niederlagen, das steht auf einem anderen Blatt und gehört vielleicht zur Tragik eines ungewinnbaren Krieges, in dem Abschreckung nicht gilt und totale Abwehr unmöglich ist.« 40
Ob solche relativierenden Urteile tatsächlich helfen, neue und effiziente Wege der Terrorbekämpfung zu finden, sei dahingestellt. Die neuen Bedrohungen, denen sich Europa und die USA gemeinsam ausgesetzt sehen, lassen sich allein durch Aufrüstungsmaßnahmen und militärische Technologieüberlegenheit nicht erfolgreich bekämpfen. Osama Bin Laden konnte trotz eines erheblichen Einsatzes von modernster Überwachungstechnologie in den unwegsamen Grenzregionen zwischen Afghanistan und Pakistan fast zehn Jahre lang nicht gefasst werden. Wer auf die Benutzung von Mobiltelefonen verzichtet und stattdessen Laufburschen mit mündlichen Botschaften von Tal zu Tal im unübersichtlichen Grenzland zwischen Pakistan und Afghanistan schickt, bleibt eben den Ortungsversuchen durch westliche Satelliten verborgen. Wieder einmal begegnen wir einem Paradox, das politische und militärische Planer regelmäßig zu überfordern scheint: Die Kommunikationstechnologien des Mittelalters können sich denen des 21. Jahrhunderts als durchaus überlegen erweisen. Erst ein eigentlich unbedeutender Fehler bei einem Mobiltelefonat brachte die US-Truppen auf seine Spur.
Selbst nach dem Tod Bin Ladens bleibt nur eine Einsicht: »Siegen« in diesem Krieg gegen den Terror könnte nur, wem es gelänge, einen unerfüllbaren Traum der Menschheit überzeugend und nachhaltig in die Tat umzusetzen: den Traum nämlich, eine Brücke zu schlagen zwischen den Lebenserwartungen der Nutznießer der Globalisierung und denjenigen, die ohne Perspektiven festsitzen in den Gettos von Armut, Gewalt und zerfallenden staatlichen Ordnungen. Nur beinharte Idealisten dürften wirklich erwarten, dass dieses Zielsich in absehbarer Zukunft erreichen lässt. Eine realistische Sicht der Dinge zeigt, dass hier eine der wesentlichen Ursachen und auch eine ständige Motivation für Terror liegen.
Die Ergebnisse dieser Politik lassen sich nicht einmal mit Großmut wirklich schönreden. »Inzwischen sind die Taliban die wahren Machthaber in Afghanistan.« 41 Mit diesen nüchternen Worten charakterisierte ein ZDF-Korrespondent die Situation in dem Land am Hindukusch neun Jahre nach dem Beginn des Krieges gegen die Taliban und ihrer Vertreibung von der Macht durch den von den USA geführten Militäreinsatz. Die Taliban sind zurück. Sie sprechen Recht, sie kassieren Steuern, sie bestimmen längst überall dort, wo ISAF-Truppen nicht unmittelbar präsent sind, das Geschehen im täglichen Leben der Menschen.
Die Basler Zeitung zieht entsprechend eine eindeutige Bilanz: »Das Wiedererstarken der Taliban ist nicht nur auf ihre professionellere Kriegsführung zurückzuführen. Die radikal-islamische Organisation kann auch auf einen zunehmenden Rückhalt in der Bevölkerung zählen. Gemäß einer Studie des ›Afghan Analysts Network‹ gewinnen die Taliban zunehmend auch außerhalb ihrer traditionellen paschtunischen Bevölkerungsgruppe an Einfluss.« 42
Und folglich fehlt es auch nicht an mahnenden Worten westlicher Politiker, dass ein Frieden und eine Stabilisierung Afghanistans letztlich nur zu erreichen wären, wenn man bereit sei, mit den gemäßigten Taliban direkt zu verhandeln. Das mag heute alles richtig sein. Aber wenn man zurückdenkt an die Erklärungen und Begründungen für diesen Krieg, wird man unschwer eines feststellen: Das war nicht das Ziel der militärischen Intervention in Afghanistan – am Ende mit eben den Taliban, die man wegen ihrer Unterstützung für al-Qaida von der Macht vertreiben wollte, letztlich um Frieden, Sicherheit und Stabilität in Afghanistan verhandeln zu müssen.
Der verlorene Krieg gegen den Terror hat die zentralen Auseinandersetzungen zwar in die Ursprungsländer von Terrorismus verlagert, aber die Risiken für die Bevölkerungen des Westens sind dadurch keineswegs geringer geworden. Gegen künftige Anschläge gibt es keinen absoluten Schutz. Die Mobilität und Gefährlichkeit von Terroristen sind trotzaller Sicherheitsmaßnahmen unkalkulierbar geblieben. Terror gehört zur Bilanz eines
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