Der erfolgreiche Abstieg Europas
Reden wieder einmal politisch korrekt. Der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg legte vor mit einer Tour d’Horizont, in der das Herzstück das Bekenntnis zur transatlantischen Partnerschaft war – allerdings bei allem Verbaloptimismus garniert mit Warnungen, was passieren könnte, wenn eine transpazifische Perspektive der USA die transatlantische überwölben sollte. Und im Stile Kassandras fährt er fort mit dem Hinweis, dass dann jene gewinnen würden, »die neue Regeln wollen, die nicht die unseren sind«. Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton sekundiert mit einer Rede, deren Kernsatz in der These besteht, die transatlantische Partnerschaft sei noch nie stärker gewesen als heute. Ob sie diesen Satz in Washington und erst recht auf einer Reise nach Asien so sagen würde, kann dahingestellt bleiben. In München wird von Jahr zu Jahr deutlicher sichtbar, dass es eine offene Diskrepanz gibt zwischen den Überzeugungen der Zuhörer im Saal, die alle der alten Partnerschaft verpflichtet sind, und den Themen auf dem Podium, die alle globalen Ursprungs und Ausmaßes sind. Nur gelegentlich wird deutliche Kritik ausgesprochen. Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer hat es getan. Als hauptamtlicher Grüner hatte Joschka Fischer selbst in seiner Zeit als deutscher Außenminister sicher nie das Gefühl, zu diesem Kreis wirklich dazuzugehören. Sein Fremdeln konnte man bei seinen Auftritten auf der Münchner Sicherheitskonferenz fast mit Händen greifen. Es wundert also nicht sonderlich, dass er in seinen Memoiren zu seinem denkwürdigen Auftritt im Jahr 2003 kein Blatt vor den Mund nimmt.
»Einmal im Jahr versammeln sich die nordatlantischen Außen- und Sicherheitspolitiker zu dieser – früher im altfränkischen Deutsch durchaus zutreffend als ›Wehrkundetagung‹ bezeichneten – Konferenz, um Bedrohungsszenarien zu beschwören, Sicherheitsanalysen auszutauschen, den Transatlantismus zu pflegen und ansonsten der arkanen Wissenschaft der Sicherheitspolitik zu huldigen. Politiker, Journalisten, Militärs, Vertreter der Rüstungsindustrie – überwiegend eine männliche Veranstaltung – gaben dem Treffen den Charakter eines Altherrenklubs, in dem man in wissend gedämpfter Tonlage einem harten politischen Realismus frönte und es den Idealisten, Gutmenschen und sonstigen Illusionisten ganz nebenbei besorgte.« 46
Natürlich übertreibt Fischer, aber er trifft auch ein Stück weit den Kern der Sache. Wer in München im Ballsaal des Hotels Bayerischer Hof als Teilnehmer sitzt, gehört zur euro-atlantischen Sicherheitsgemeinschaft, wie man sich im Kreise der Eingeweihten selbst gerne nennt. Aber die hat ein Problem, das niemand besser aufs Korn genommen hat als der Leiter der Redaktion Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung , Stefan Kornelius. Er gehört zur Journalistenriege der versammelten Transatlantiker und befindet zur Konferenz des Jahres 2011 nüchtern und gelassen: »Die Münchner Sicherheitskonferenz ist eine Manifestation der Ratlosigkeit. Selten haben sich so viele Mächtige versammelt, um am Ende nur eines tun zu können: Sie müssen ihre Ohnmacht eingestehen.« In Anbetracht der parallel verlaufenden Ereignisse in Kairo war die Ohnmacht der Allmacht des Westens mit Händen greifbar. Folglich zieht Kornelius eine einfache, aber der Gemeinde nur schwer vermittelbare Konsequenz: »Es beginnt eine neue Phase, in der Demut und Selbstbegrenzung geboten sind. Und im Mittelpunkt steht die Erkenntnis, dass sich Demokratie und Freiheit nicht von außen erzwingen oder erkaufen lassen – sie müssen von innen gewollt sein.« 47 So weit, so gut. Aber fragen wir uns nun, was das für eine immer wieder beschworene Politik der Neubegründung, Stärkung oder des Ausbaus transatlantischer Beziehungen bedeutet.
Mythen sterben langsam! Dies gilt nirgendwo mehr als in den transatlantischen Beziehungen. Die Debatten um den Irak-Krieg, die nach 2002 auf beiden Seiten so emotional und heftig geführt wurden, haben sie lediglich offengelegt. Zwei dieser Mythen verdienen besondere Erwähnung.
Da ist zunächst der Mythos transatlantischer Selbstzufriedenheit, der seit dem Ende des Ost-West-Konflikts dazu geführt hat, dass wir gerade die Beziehungen Europas zu den USA in dem sicheren Gefühl eines gemeinsamen Sieges betrachtet haben. Nun mussten wir schon feststellen, dass die Erwartung, die Welt werde friedlicher nach dem Ende des Zentralkonflikts des 20. Jahrhunderts,
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