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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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ausgestreckt, als wäre er in einem letzten, stummen Angriff eingefroren. Die Hinterbeine waren mit einem Draht zusammengebunden, den er durch ein Loch im stählernen Dachträger gezogen hatte. Das Blut, das aus dem Maul und aus der Austrittswunde der Kugel hinter dem Ohr tropfte, klatschte gleichmäßig auf den Stahlboden. Er würde niemals erfahren, ob es seine eigene Unterarmmuskulatur oder der Biss des Hundes gewesen war , der seinen Finger am Abzug gekrümmt hatte, doch noch immer meinte er, das Vibrieren der Stahlwände nach dem Schuss zu spüren. Dem sechsten, seit er in diese verfluchte Stadt gekommen war. Und nun hatte er nur noch eine Kugel in der Pistole.
    Eine Kugel reichte zwar, aber wie sollte er jetzt Jon Karlsen finden? Er brauchte jemand, der ihm den richtigen Weg weisen konnte. Er dachte an diesen Polizisten. Harry Hole. Das hörte sich nicht wie ein normaler Name an. Vielleicht wäre er gar nicht so schwer zu finden.

 
     
     
    TEIL 3
    Die Kreuzigung

 
    KAPITEL 20
    Freitag, 18. Dezember. Der Tempel
     
     
    D ie Digitalanzeige vor dem Vika-Atrium zeigte minus achtzehn Grad und die Uhr drinnen einundzwanzig. Harry und Halvorsen standen in dem gläsernen Aufzug und sahen zu, wie der Springbrunnen mit den tropischen Pflanzen unter ihnen immer kleiner wurde.
    Halvorsen setzte an, etwas zu sagen, entschied sich dann aber dagegen. Setzte erneut an.
    »Gläserne Aufzüge sind in Ordnung«, kam Harry ihm zuvor. »Das Problem ist nämlich nicht die Höhe.«
    »Ach ja?«
    »Ich möchte, dass du mit der Vorstellung und den ersten Fragen anfängst. Ich übernehm dann später, okay?«
    Halvorsen nickte.
    Sie hatten nach dem Besuch bei Tore Bjørgen kaum im Auto gesessen, als Gunnar Hagen anrief und sie ins Vika-Atrium bestellte, wo Albert und Mads – Vater und Sohn – Gilstrup saßen, um eine Erklärung abzugeben. Harry deutete an, dass es nicht gerade Usus sei, die Polizei zu sich zu rufen, um eine Erklärung abzugeben, und bat ihn, Skarre mit der Sache zu betrauen.
    »Albert ist ein alter Bekannter des Kriminalchefs«, erklärte Hagen. »Er hat mich gerade angerufen und erklärt, sie hätten sich soeben entschlossen, mit niemand anderem als dem Leiter der Ermittlungen zu sprechen. Das Positive an der Sache ist, dass sie jetzt ohne Anwalt da sind.«
    »Tja...«
    »Gut, ich weiß das zu schätzen.«
    Ein kleiner Mann in einem blauen Blazer wartete vor dem Aufzug auf sie.
    »Albert Gilstrup«, sagte er, wobei er die Lippen kaum öffnete. Er drückte Harry kurz und resolut die Hand. Gilstrup hatte weiße Haare und ein faltiges, wettergegerbtes Gesicht, aber junge Augen, die Harry hellwach beobachteten, als er ihn zu einer Tür führte, auf der »Gilstrup ASA« stand.
    »Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass mein Sohn von den Geschehnissen stark mitgenommen ist«, sagte Albert Gilstrup. »Die Leiche war ja übel zugerichtet, und Mads hat leider eine etwas sensible Natur.«
    Harry schloss aus Albert Gilstrups Formulierung auf einen praktisch veranlagten Mann, der wusste, dass er für die Toten kaum etwas tun konnte – oder aber auf einen Mann, der seine Schwiegertochter nicht sonderlich ins Herz geschlossen hatte.
    In der kleinen, aber exklusiv eingerichteten Rezeption hingen Bilder mit den bekannten nationalromantischen Motiven, die Harry schon unzählige Male zuvor gesehen hatte. Mann mit Katze auf Bauernhof. Märchenschloss Soria Moria. Nur war er sich dieses Mal nicht so sicher, ob dort wirklich Reproduktionen hingen. Mads Gilstrup saß auf einem Stuhl und starrte durch die Glaswand aufs Atrium, als sie in den Sitzungssaal kamen. Der Vater räusperte sich, woraufhin der Sohn sich langsam umdrehte, als störte man ihn mitten in einem Traum, aus dem er nicht aufwachen wollte. Als Erstes fiel Harry auf, dass der Sohn seinem Vater überhaupt nicht ähnlich sah. Das Gesicht war schmal, aber die weichen, runden Züge und das gelockte Haar ließen Mads Gilstrup jünger wirken als die Mitte dreißig, auf die Harry ihn schätzte. Vielleicht war es aber auch der Blick, die kindliche Hilflosigkeit in den braunen Augen, mit der er sie ansah, als er schließlich aufstand.
    »Danke, dass Sie kommen konnten«, hauchte Mads Gilstrup mit belegter Stimme und drückte Harrys Hand mit einer Inbrunst, die Harry argwöhnen ließ, dass dieser Mann ihn vielleicht für einen Pastor hielt und nicht für einen Polizisten.
    »Keine Ursache«, erwiderte Harry. »Wir wollten ja ohnehin mit Ihnen sprechen.«
    Albert Gilstrup

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