Der Erl�ser
war?« »Das weiß ich nicht«, antwortete sie lächelnd.
»Doch, doch, der ist doch bekannt. Wie heißt der noch mal ? « Sie warf einen Blick auf ihr Notizbuch. »Harry Hole. Der soll bekannt sein?«
»Harry Hole?«
»Ja.«
»Nein, das war ein anderer Name. Ich muss mich geirrt haben.«
»Ich habe ein freies Zimmer. Wenn Sie es wollen, füllen Sie bitte diesen Zettel aus, und dann muss ich noch den Pass sehen. Wie möchten Sie zahlen?«
»Was kostet es? «
Sie nannte den Preis.
»Oh, das tut mir leid«, sagte er lächelnd. »Aber das ist mir zu teuer.«
Er verließ das Hotel und ging in den Bahnhof. Suchte sich eine freie Toilette und schloss sich ein. Dort blieb er sitzen und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Sie hatten seinen Namen. Er musste also einen Platz zum Übernachten finden, andem sie nicht seinen Pass sehen wollten. Und Christo Stankic konnte es ab jetzt vergessen, auf seinen Namen noch einen Flug zu buchen oder einen Platz auf einer Fähre oder im Zug, ganz zu schweigen davon, die Grenze zu überqueren. Was sollte er tun? Er musste in Zagreb anrufen. Mit ihr sprechen.
Er ging nach draußen auf den Bahnhofsplatz. Ein lähmender Wind fegte über die offene Fläche, während er mit klappernden Zähnen zu den Telefonzellen starrte. Ein Mann lehnte an dem weißen Wagen, aus dem heraus mitten auf dem Platz Würstchen verkauft wurden. Er trug einen Daunenanzug, der ihn wie ein Astronaut aussehen ließ. Bildete er sich das nur ein, oder beobachtete dieser Mann die Telefonzellen? War es möglich, dass sie seine Gespräche aufgespürt hatten und jetzt darauf warteten, dass er zurückkam? Unmöglich. Trotzdem zögerte er. Wenn sie die Telefonzellen abhörten, riskierte er, sie auffliegen zu lassen. Er traf eine Entscheidung. Das Telefongespräch konnte warten, was er jetzt brauchte, waren ein Zimmer und ein warmer Ofen. Dafür würde er allerdings Geld brauchen, und seine letzten Kronen hatte er gerade für den Hamburger ausgegeben.
Drinnen in der hohen Halle fand er zwischen Boutiquen und Gleisen einen Geldautomaten. Er nahm die VISA-Karte, las die englische Anweisung, die besagte, dass der Magnetstreifen rechts unten sein sollte, und wollte die Karte gerade in den Schlitz stecken. Doch mitten in der Bewegung hielt er inne. Auch die Karte war auf Christo Stankic ausgestellt. Seine Abhebung würde registriert werden, und irgendwo würde ein Alarm losgehen. Er zögerte. Dann steckte er die Karte zurück in seinen Geldbeutel und ging langsam durch die Bahnhofshalle. Die Geschäfte schlossen allmählich. Er hatte nicht einmal das Geld, sich eine warme Jacke zu kaufen. Ein Wachmann der Securitas sah ihm lange nach. Er ging wieder auf den Bahnhofsplatz. Der Nordwind blies noch immer. Der Mann am Würstchenwagen war verschwunden. Dafür stand jetzt ein anderer an der Tigerskulptur.
»Ich brauche ein bisschen Geld für einen Platz zum Schlafen.«
Er musste nicht Norwegisch können, um zu wissen, worum ihn der Mann vor ihm bat. Denn es war derselbe junge Junkie, dem er tags zuvor Geld gegeben hatte. Geld, das er jetzt selbst dringengebraucht hätte. Er schüttelte den Kopf und blickte zu der schlotternden Versammlung, die an der vermeintlichen Bushaltestelle stand. Der weiße Bus war gekommen.
*
Harrys Brust und Lungen schmerzten. Der gute Schmerz. Die Schenkel brannten. Das gute Brennen.
Wenn er sich völlig festgefahren hatte, so wie jetzt, ging er oft nach unten in den Kraftraum des Präsidiums und fuhr Fahrrad. Nicht weil er dann besser denken konnte, sondern weil er dann aufhören konnte zu denken.
»Man hat mir gesagt, Sie seien hier.« Gunnar Hagen stieg auf das Ergometerfahrrad neben Harry. Sein eng sitzendes gelbes T-Shirt und die Radlerhose betonten die Muskeln auf dem mageren, beinahe ausgezehrten Körper des Chefs. »Welches Programm fahren Sie?«
»Nummer neun«, keuchte Harry.
Hagen regulierte die Höhe des Sattels, während er, auf den Pedalen stehend, die notwendigen Einstellungen am Fahrradcomputer vornahm. »Wenn ich das richtig verstanden habe, waren Sie heute in äußerst dramatische Geschehnisse verwickelt?«
Harry nickte.
»Ich würde es gut verstehen, wenn Sie sich krankmelden möchten«, sagte Hagen. »Wir leben hier ja doch noch in Friedenszeiten.« »Danke, aber ich fühle mich ganz gesund, Chef.«
»Gut. Ich habe gerade mit Torleif gesprochen.«
»Dem Kriminalchef?«
»Wir würden gerne wissen, wie die Sache steht. Es hat ein paar Anrufe gegeben.
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