Der Erl�ser
überhaupt einlässt. Und Harry wusste, dass er diesem Kampf hier besser aus dem Weg gehen sollte. Weil er verlieren würde, egal, wie er ausging.
Harry ließ nach. Der Tacho zeigte fünfunddreißig. Und zu seiner Überraschung fühlte er keine Frustration, sondern nur müde Resignation. Vielleicht wurde er endlich erwachsen, vielleicht war er ja endlich fertig mit diesem Idioten, der immer gleich die Hörner senkte, wenn jemand bloß mit einem roten Lappen wedelte? Harry sah zur Seite. Hagens Beine gingen wie eine Nähmaschine, und auf seinem Gesicht lag eine dünne Schweißschicht, die im Licht der weißen Lampe glänzte.
Harry wischte sich den Schweiß ab. Atmete zweimal tief durch. Dann trat er wieder in die Pedale. Schon wenige Sekunden später setzte der wohlige Schmerz wieder ein.
KAPITEL 13
Donnerstag, 17. Dezember. Ticken
M anchmal dachte sich Martine, dass die Plata eine Art Kellertreppe in die Hölle war. Gleichzeitig war sie aber entsetzt darüber, dass die Sozialbehörden der Stadt bis zum Frühling die Verordnung über die liberalisierte Zone für den Drogenverkauf kippen wollten. Die Gegner argumentierten lautstark, dieser Platz könnte für junge Menschen anziehend wirken und so Werbung für Drogen machen. Martine sah das ganz anders. Ihrer Meinung nach mussten Menschen, die das Leben auf der Plata anziehend fanden, verrückt sein. Oder sie waren noch nie dort gewesen.
Das unausgesprochene Argument lautete, dass dieses gekaperte Stück Land, das mit einer weißen Linie vom Bahnhofsplatz abgegrenzt war, eine Schande für das Stadtbild darstellte. Und war es denn nicht wirklich eine schreiende Bankrotterklärung der erfolgreichsten – auf jeden Fall reichsten – Sozialdemokratie der Welt, wenn man zulassen musste, dass Drogen und Geld im Herzen der Stadt ganz offen den Besitzer wechselten?
In diesem Punkt stimmte Martine zu. Ja, bankrott war man. Und der Kampf für eine drogenfreie Gesellschaft war verloren. Wollte man aber dagegen kämpfen, dass die Drogen noch mehr an Boden gewannen, war es besser, den Drogenhandel unter den Augen der niemals ruhenden Überwachungskameras auf der Plata zu wissen, statt unter den Brücken am Akerselva, in den dunklen Innenhöfen der Radhusgata und auf der Südseite der Festung Akershus. Und Martine wusste, dass die meisten, die irgendetwas mit der Osloer Drogenszene zu tun hatten – Polizei, Sozialarbeiter, Junkies, Straßenpastoren und Prostituierte –, diese Meinung teilten: Die Plata war besser als alle Alternativen.
Aber ein schöner Anblick war sie nicht.
»Langemann! «, rief sie dem Mann zu, der draußen im Schatten des Busses stand. »Willst du heute Abend keine Suppe?«
Aber Langemann verdrückte sich. Er hatte bestimmt schon sein Dope bekommen und war jetzt auf dem Weg zu einem Ort, an dem er sich seinen Schuss setzen konnte.
Sie konzentrierte sich darauf, einem Sørländer in einer blauen Jacke Suppe aufzufüllen, als sie neben sich Zähneklappern hörte und ihr die dünne Anzugjacke eines Mannes auffiel, der in der Schlange stand und auf seine Suppe wartete. »Bitte«, sagte sie und reichte auch ihm einen Teller.
»Hallo, Süße«, sagte eine rauchige Stimme.
»Wenche! «
»Na komm, wärm ein armes altes Ding auf«, sagte die alternde Hure mit einem herzlichen Lachen und umarmte Martine. Der Geruch der großzügig parfümierten Haut und des Körpers, der fast aus dem eng anliegenden Leopardenkleid herausquoll, war überwältigend. Aber da war auch noch ein anderer Geruch, den sie kannte und der schon da gewesen war, bevor Wenches Duftkanonade alles andere überlagert hatte.
Sie setzten sich an einen der leeren Tische.
Zwar waren auch einige der ausländischen Huren, die das Viertel im letzten Jahr überschwemmt hatten, drogenabhängig, doch dieses Phänomen war bei ihnen deutlich schwächer ausgeprägt als bei ihren norwegischen Konkurrentinnen. Wenche war eine der wenigen Norwegerinnen, die keine Drogen nahm. Außerdem hatte sie nach eigener Aussage begonnen, zu Hause zu arbeiten, mit einem festen Kundenstamm, so dass Martine sie in der letzten Zeit nur noch selten zu Gesicht bekommen hatte.
»Ich bin hier, um nach dem Sohn einer Freundin Ausschau zu halten «, sagte Wenche. »Kristoffer, der soll auch auf Droge sein.« »Kristoffer? Sagt mir nichts.«
»Ach! « Sie winkte ab. »Egal, du hast an andere Sachen zu denken, wie ich sehe.«
»Habe ich das? «
»Mach mir nichts vor. Ich sehe doch, wenn ein Mädchen verliebt
Weitere Kostenlose Bücher