Der Eroberer
Glieder von sich gestreckt, vor der Thronestrade. Erneut stürmten die Wachen in den Saal, doch Alexander winkte ab.
»Verratet keinem, auf welche Weise ich mein Ende gefunden habe«, röchelte er. »Die Einigung der Welt ist mein Werk … Sie soll vereinigt bleiben durch den Glauben, daß ein … ein Gott diese Einheit gestiftet hat. Vielleicht kann so der Friede bewahrt werden …«
Verwundert zogen sich die Soldaten über die Stufen des Tempels zurück. Simon und der sterbende Alexander waren allein. Ein Wind frischte auf, und kalte Luft wehte durch die Säulen in den dunklen, stillen Saal.
»Jetzt erinnere ich mich an dich«, sagte Alexander. Aus seinem Mund begann Blut zu tropfen. »Du bist der Thraker. Was ist geschehen? Ich entsinne mich, mit dir gesprochen zu haben. Der Rest liegt im dunkeln. Was ist danach geschehen?« Simon schüttelte den Kopf. »Nennt es Wahnsinn«, sagte er. »Der Wahnsinn hat Euch ergriffen.«
In den Schatten hinter dem Thron sah er, wie sich schwarzer Dunst zu formen begann, und er rief entsetzt: »Abaris … hilf!« Der Priester erschien. Er war die Treppe heraufgestiegen und hatte sich hinter einer Säule verborgen. Andere folgten auf sein Zeichen. Sie hoben zu einem eigentümlichen, schönen Gesang an und hüpften in merkwürdigen Luftsprüngen auf die Nebelgestalt hinter dem Thron zu.
Hinter ihnen tauchte Camilla auf. Sie stand zwischen zwei Säulen, und der Wind zerzauste ihr Haar.
Alexander ergriff Simons Arm. »Ich erinnere mich an eine
Weissagung … an ein Orakel aus Memphis. Wie lautete es
noch?«
Simon zitierte.
»Ja«, röchelte Alexander. »Du bist also das Schwert, das Abdera, die Stadt der Narren, gebar …«
»Wie sollen wir Euch in Erinnerung behalten, Alexander?« fragte Simon ruhig, und gleich darauf machte sich eine Erschütterung hinter dem Thron bemerkbar, der inzwischen von den singenden Magi umringt war. Er hob den Blick. Die Priester schienen eine schreckliche Kraft zurückzuhalten, deren
Wimmern und Heulen nun den Saal erfüllte.
»Wird sich die Welt nicht immer an mich erinnern? Mein Traum war es, die Welt zu vereinigen und Frieden zu stiften. Aber ein Alpdruck lastete auf dem Traum …«
»Wir werden uns an Euren Traum und den Eures Vaters erinnern«, sagte Simon.
»Mein Vater … Ich habe ihn immer gehaßt … doch er war ein guter und weiser König, der mich auf die Nachfolge vorbereitet hat. Du weißt, Aristoteles war mein Lehrer. Es gab jedoch noch andere, die Einfluß auf mich ausübten. Meine Mutter Olympias lehrt merkwürdige Dinge, an die ich mich jetzt nicht mehr entsinne.«
»Wir wollen hoffen, daß sich keiner mehr daran erinnert«, flüsterte Simon.
»Was ist geschehen?« fragte Alexander wieder. Dann schloß er die Augen. »Was habe ich nur getan?«
»Du hast nichts getan, was der Welt geschadet hätte«, antwortete Simon. Alexander war tot. Der Thraker fuhr leise fort, während sich die Hand des Eroberers von Simons Arm löste und auf die marmorne Stufe fiel: »Deine Besessenheit hat Schaden angerichtet. Dich trifft keine Schuld. Du wurdest geboren, um unterzugehen …«
Er stand auf und rief: »Abaris. Abaris … Er ist tot.«
Der Gesang verstummte. Über dem Thron schwebte immer noch die schattenhafte Gestalt, in der goldgelbe und scharlachrote Linien wie Blutgefäße pulsierten. Simon und die Priester wichen zurück.
Die Gestalt sank auf Alexander nieder. Ein kurzes Zucken durchfuhr seine Leiche. Für einen Augenblick erschien ein Gesicht – das Gesicht, das Simon während der Cottyttia in Pela gesehen hatte.
»Seid getrost, es wird andere geben«, sagte Ahriman und verschwand.
Abaris trat vor die Leiche Alexanders und strich mit der
Hand über die Wunde. Als Simon hinsah, war von ihr nichts mehr zu erkennen.
»Wir werden sagen, daß er einem Fieber zum Opfer gefallen ist«, schlug Abaris vor. »Jeder weiß, daß er krank war. Man wird uns glauben … Den Chaldäern sei die Vorherrschaft über Babylon zurückgegeben, denn sie regierten das Volk vor Alexanders Ankunft.«
Simon sagte: »Ich wußte ja, daß blanker Stahl in dieser Sache die Entscheidung bringt.«
Abaris sah ihn spöttisch an. »Ohne unseren Zauber, der Ah
riman für kurze Zeit aus Alexanders Körper getrieben hat,
wärst du ohne Erfolg geblieben.«
»Ich glaube, du hast recht.«
Abaris fuhr fort: »Das war die Lösung. Ahriman wirkt durch viele Menschen. Für seinen großen Plan braucht er ein einzelnes menschliches Werkzeug. Er fand sie in der
Weitere Kostenlose Bücher