Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eroberer

Der Eroberer

Titel: Der Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
Vom Netzwerk:
Bücherriemen, mit denen sie ihn angebunden hatten, schnitten ihm in die Handgelenke. Die Stimmen der Kinder wurden leise.
    »Ob der wirklich was hat?« fragte Molly Turner ängstlich. »Ach wo! Der tut bloß so.«
    Marvyn Williams’ Antwort klang nicht überzeugend.
    Er spürte, wie sie ihn mit nervösen Fingern losmachten. Er ließ sich erst auf die Knie, dann auf das Gesicht fallen. Er hatte sich so hineingesteigert, daß er wirklich nur noch halb bei Besinnung war. Ihre Stimmen klangen verschwommen. Williams schüttelte ihn.
    »Wach doch auf, Karl. Du verarscht uns ja bloß.«
    Er blieb liegen und verlor jeglichen Sinn für die Zeit, bis er
    plötzlich Mr. Masons Stimme hörte. »Was soll denn das, Williams?«
    »Es war doch bloß ein Spiel, Sir. Mit Jesus. Karl war der Jesus. Wir haben ihn an den Zaun gebunden. Gekreuzigt. Es war seine Idee, Sir. Aber es war bloß ein Spiel.«
    Karls Glieder waren steif und verkrampft. Er atmete schwach und flatternd.
    »Er ist nicht so ein stämmiger Kerl wie du, Williams. Wie
könnt ihr nur so etwas tun!«
Williams heulte.
    Karl spürte, wie sie ihn hochhoben. Triumph durchflutete ihn … Er wurde getragen. Sein Kopf und die Seiten taten ihm so weh, daß er sich fast übergeben hätte. Wo ihn die Zeitmaschine abgesetzt hatte, wußte er nicht, aber der Mann rechts von ihm war angezogen wie die Menschen im Mittleren Osten. Sein Wunsch war es gewesen, in der Wüste zwischen Jerusalem und Bethlehem zu landen. 29 vor Christus. Brachte man ihn jetzt nach Jerusalem?
    Er lag auf einer Bahre aus Tierhäuten. Also war er doch in der Vergangenheit. Zwei Männer trugen die Bahre auf den Schultern. Andere gingen nebenher. Es roch nach Schweiß und Talg. Am Horizont eine Hügelkette.
    Die Schmerzen in den Seiten wurden schlimmer. Er stöhnte und verlor nochmals die Besinnung.
    Stimmen. Er wachte kurz auf. Sie sprachen eine Sprache, die vom Aramäischen abstammen mußte. Es war offensichtlich Nacht, denn es war sehr dunkel. Sie bewegten sich nicht mehr vorwärts. Unter ihm war Stroh. Er war erleichtert und schlief.

    In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf und predigte in der Wüste von Judäa: »Kehret um, denn das Himmelreich ist nahe.«
    Dieser nämlich ist es, von dem gesprochen wurde durch den Propheten Jesaja:
    »Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht seine Straßen eben!«
    Er aber, Johannes, trug einen Mantel aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften. Und seine Nahrung waren Heuschrecken und wilder Honig. Da zog Jerusalem und ganz Judäa und die ganze Jordangegend zu ihm hinaus, und sie ließen sich von ihm im Jordan taufen und bekannten dabei ihre Sünden.
    (Matthäus 3:1-6)

    Sie wuschen ihn. Kaltes Wasser rann über seinen Körper. Sie hatten ihm den Schutzanzug ausgezogen. Sie legten Leinenfetzen auf seine rechte Seite und banden sie mit Lederriemen fest. Er war sehr schwach, aber die Schmerzen hatten nachgelassen. Es war heiß.
    Er war in einem Haus – nein, in einer Höhle. Er lag auf Stroh. Nassem Stroh. Über ihm standen zwei Männer und begossen ihn aus irdenen Krügen. Sie hatten ernste, bärtige Gesichter und trugen lange Gewänder.
    Ob er einen Satz zustande brachte, den sie verstanden? Ara
mäisch war immer seine Stärke gewesen, aber er wußte nicht,
wie es mit der Aussprache stand.
Er räusperte sich. »Wo – bin – ich?«
    Sie runzelten die Stirnen und schüttelten die Köpfe. »Ich – suche – einen – Nazarener. Jesus …« »Nazarener … Jesus.«
    Einer der Männer wiederholte die Worte, aber sie schienen keine Bedeutung für ihn zu haben. Er zuckte mit den Schultern. Der andere allerdings wiederholte die Worte so, als haben sie sehr wohl eine Bedeutung für ihn. Er flüsterte dem ersten etwas zu und ging aus der Höhle.
    Karl Glogauer versuchte es mit dem anderen noch einmal. »Welches – Jahr – sitzt – Kaiser – in – Rom?«
    Eine unsinnige Frage. Wußte er doch, daß Christus im 15.
    Jahr der Regierungszeit des Kaisers Tiberius gekreuzigt wor
den war. Er mußte die Frage anders stellen.
»Seit – wann – regiert – Tiberius?«
»Tiberius?« Der Mann runzelte die Stirn.
    Glogauer versuchte, den Akzent nachzumachen.
    »Tiberius. Der römische Kaiser. Seit wann regiert er?«
    »Seit wann?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
    Es war Glogauer also gelungen, sich verständlich zu machen. »Wo bin ich?«
    »In der Wüste von Machaärus«, antwortete der Mann. »Weißt du das

Weitere Kostenlose Bücher