Der Eroberer
Pferdehaare hüpften unter der Sonne auf und ab, Pferde in schmuckvollem, bunten Geschirr stampften, Bronzerüstungen schimmerten golden, Schilder und Spieße klirrten aneinander, wie ein Kornfeld wogten die hell aufblitzenden Lanzen des Fußvolks. Kämpfer mit verhärteten Gesichtern marschierten in Reih und Glied, Männer aus Mazedonien, Thrakien, Griechenland, Baktrien, Babylonien, Persien, Arabien, Ägypten und Palästina. Millionen von Soldaten. Millionen von Menschen, deren Handwerk Mord und Zerstörung war.
Und ein Mann befahl – Alexander der Große. In seinem Falkenhelm aus Gold stand er auf den Stufen von Baals Tempel und bereitete seine Horden auf den letzten Eroberungszug vor. Alexander im Schmuck eines persischen Monarchen, der absolute Herrscher über die zivilisierte Welt. In der Rechten ein glänzendes Schwert, in der Linken das Zepter des Gesetzgebers. Durchdrungen, besessen, beherrscht vom Bösen. Ahriman, der Meister der Finsternis, würde bald sein größtes Verbrechen begehen: die Auflösung des Rechts und die Begründung des Schwarzen Millenniums.
Rund um Babylon kampierten mächtige Heere. Simon gelangte unbehelligt in die Stadt, denn die Masse der Söldner hatte sich unter Alexanders Banner versammelt.
Der Thraker gab sich nach außen hin den Anschein eines einfachen Soldaten; er trug einen schwarzen, fleckigen Mantel. Doch der verbarg nur ein kostbareres Gewand mit aufgestickten, merkwürdigen Symbolen – den Umhang der Magi, der das Böse fernhalten und Simon vor Ahriman schützen sollte. Er stand auf dem Platz, der den Tempel des Baal umgab, und hörte Ahriman durch die Stimme Alexanders. Simon ging ein hohes Risiko ein, um den Mann zu sehen. Alexander sprach zu dem Volk.
»Bürger von Babylon, Soldaten! Mit dem morgigen Tag beginnt unsere letzte Eroberung. Bald wird keine Krume, kein Meerestropfen mehr unabhängig sein von unserem Reich; ich, Jupiter-Ammon, bin zur Erde heruntergefahren, um sie von Häretikern zu reinigen, den Unglauben zu vertreiben und ein neues Zeitalter auszurufen. Wer murrt, muß sterben. Wer sich widersetzt, wird furchtbare Qualen erleiden und den Tod herbeiwünschen. Wer mich aufhalten will, wird der ewigen Verdammnis des Hades überantwortet. Die Armeen sind aufgestellt. Schon beherrschen wir die Welt bis auf ein paar Landstriche im Norden und Osten. In wenigen Monaten ist auch dieser Rest unterworfen. Sieh auf uns, mein Volk, denn Zeus ist vom Olymp zurückgekehrt, geboren von einer Frau mit Namen Olympias, Vater des Sohns, Sohn und Vater in eins. Wir sind Jupiter-Ammon, und unser Wille ist göttlich.« Die Zuhörer johlten begeistert und verbeugten sich vor dem Gottkaiser, der so stolz vor ihnen stand.
Nur Simon, verhüllt im staubigen Mantel, blieb aufrecht stehen. Sein Gesicht war hager, seine Augen glänzten. Er starrte Alexander an, der ihn sofort erkannte und den Mund öffnete, um die Ergreifung des Ungläubigen zu befehlen. Doch er schloß ihn gleich wieder.
Für eine geraume Weile starrten die beiden Männer einander in die Augen – der eine die Ausgeburt des Bösen, der andere Streiter des Lichts. Die große Stadt schien erstarrt zu sein, und nur der Wind trieb ferne Geräusche rüstender Heere über die Stadtmauern.
Eine sonderbare Verständigung fand zwischen den beiden Männern statt. Simon glaubte, in den Höllenabgrund zu blikken, und doch schien es ihm, als verberge sich noch etwas anderes in den Augen des Gegners – ein seit langem unterdrückter, fast erstickter Funke.
Dann löste sich der Thraker plötzlich aus der Menge und lief die gewundene Steintreppe des Tempels hinauf.
Zwanzig, fünfzig, hundert Stufen hatte er zurückgelegt, doch immer noch nicht den Mann erreicht, der regungslos wie eine Statue auf ihn wartete. Als Simon schließlich den obersten Absatz erklommen hatte, drehte sich der Gottkaiser um und ging, ohne den Thraker anzublicken, durch einen dunklen
Säulengang ins Tempelinnere. Simon folgte ihm.
Der Sonnenschein warf ein Netz aus Licht und Schatten auf den Boden. Alexander saß grüblerisch nach vorn gebeugt auf einem riesigen, goldenen Thron, das Kinn auf eine Hand gestützt. Stufen führten auf den Sockel des Throns. Simon blieb auf der ersten Stufe stehen und sah den Welteroberer an. Alexander lehnte sich zurück und legte die Hände zusammen. Sein gequältes, ironisches Lächeln machte einem haßerfüllten, teuflischen Grinsen Platz.
»In Memphis«, sagte Alexander schleppend, »gibt es einen heiligen Bullen,
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