Der Eroberer
stehen, schob einen Riegel zur Seite und bat die beiden einzutreten. Sie nahmen die Pferde mit hinein.
Das Haus war geräumiger, als es von außen schien, und Simon vermutete, daß es aus mehreren Häusern bestand. In dem Saal, den sie nun betraten, hielten sich an die zweihundert Leute auf. Sie saßen, hockten oder standen in erschöpfter Haltung. Viele von ihnen waren Priester. Simon erkannte Vertreter der unterschiedlichsten Kulte.
Da waren Chaldäer, die der Herrscherkaste Babylons angehörten und immer noch stolz und überheblich wirkten, ägyptische Priester der Osiris, ein hebräischer Rabbi. Andere waren Simon fremd, und Abaris flüsterte ihm die Antworten auf seine Fragen zu. Da waren Brahmanen aus Indien, Pythagoreer von Samos und dem etruskischen Crotona; Parsen aus den Wüsten von Kerman und Hindustan; Druiden aus dem fernen Norden, den unwirtlichen Inseln am Weltrand; blinde Priester der Cimmerier, die der Überlieferung nach Vorfahren der Thraker und Mazedonier waren.
Alexander hatte ihre Tempel zerstört und die Anhängerschaft verjagt. Nur im äußersten Norden und Osten trafen die Priester
des Lichts noch zusammen. Von dort hatten sie Abgesandte nach Ninive geschickt, um ihren Brüdern zu helfen.
Die Zoroastres, die persischen und chaldäischen Magi, waren die Hauptopfer von Alexanders Zorn gewesen, denn sie galten als einflußreichste Sekte unter den Anhängern des Lichts und des Gesetzes.
Hier waren sie alle, die ermatteten Männer, entkräftet von einem Kampf, der zwar ohne eiserne Waffen, aber dennoch mit verzehrendem Einsatz gegen Ahriman geführt wurde. Abaris stellte Simon und Camilla der Versammlung vor. Er schien ihre Geschichte zum größten Teil zu kennen: daß sie bei der Cottyttia zugegen gewesen, vor den infernalischen Horden aus Pela geflohen waren, den Bosporus überquert und schließlich Ninive erreicht hatten.
Draußen füllten sich die Straßen Ninives mit scheußlichen Bestien aller Art, Gespenstern und Spießgesellen der Hölle. Dreiköpfige Hunde mit Schlangenschwänzen, geflügelte Pferde, Chimären, Basilisken, Sphinx, Zentauren, Greife und feuerspuckende Salamander. Alle durchstreiften die verschütteten Straßen auf der Suche nach Ahrimans Beute. Aber es gab einen Bezirk, den sie nicht betreten konnten – einen Bezirk, dessen Ausstrahlung tödlich für sie war.
Für eine Zeit konnten sich Simon und Camilla in Sicherheit wiegen. Doch sie waren in Schach gesetzt, denn solange sie in Ninive geschützt vor den Kräften des Bösen weilten, bereitet Alexander in den goldenen Türmen Babylons den entscheidenden Schlag gegen die Welt vor.
6. Kapitel
Abaris sagte zu Simon: »Vor einer Woche erschlug Alexander deinen Freund Hano, den Phönizier.«
»Mögen die Harpyien ihm die Augen aus dem Schädel hacken!«
fluchte Simon.
Camilla sagte: »Beschwöre nicht auch noch die Harpyien herauf; wir haben schon genug an Scheusalen zu erdulden.« Abaris lächelte mild und wies die beiden an einen kleinen Tisch in der Ecke des Saales. »Ihr solltet jetzt ein wenig essen. Außerdem werdet ihr sehr müde sein.«
Dankbar nahm das Paar die Speisen an und trank den gewürzten, außerordentlich belebenden Wein der Magi. Während sie aßen, sagte Abaris:
»Ahriman wohnt jetzt ständig in Alexanders Körper. Er bereitet die alles entscheidende Schlacht gegen die barbarischen Stämme im Norden und Osten vor, gegen die Gallier und Inselbewohner im Eismeer sowie gegen die indischen Könige. Es scheint, als werde er bald mit Hilfe Alexanders, seines Werkzeuges, die ganze Welt beherrschen, denn sie unterwirft sich schon jetzt den Launen des Eroberers. Ihm gehorchen Soldaten, Könige und Prinzen. Es wäre leichter …«
»Er muß aufgehalten werden«, rief Simon. »Habt ihr kein Mittel, ihn aufzuhalten?«
»Seit Monaten kämpfen wir erfolglos gegen die Kräfte des Bösen. Wir sind müde geworden und können bald nur noch darauf warten, daß die Finsternis über uns hereinzieht.« »Ich glaube, ich weiß einen Ausweg«, sagte Simon. »Er folgt einer Methode, die klarer ist als eure. Mit deiner Hilfe reise ich nach Babylon, und dort werde ich tun, was notwendig ist.« »Sehr wohl, mein Freund«, sagte Abaris. »Sage mir, wie dir geholfen werden kann.«
Trommeln und Fanfaren ertönten. Staub wirbelte in die heiße Luft auf, als sich Alexanders Armeen in Marsch setzten. Rauhe Stimmen brüllten Befehle, und in militärischem Pomp führten die Feldherren ihre Truppen an. Büsche gefärbter
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