Der Eroberer
konnte er es Monica beweisen. Zu seinem Kummer würde sie es höchstwahrscheinlich nie erfahren. Er hatte eigentlich alles aufzeichnen und in die Zeitmaschine legen wollen, damit man eines Tages davon hören würde. Seltsam. Er war kein religiöser Mensch im üblichen Sinn. Er war Agnostiker. Nicht die Überzeugung hatte ihn die Religion immer wieder vor Monicas Zynismus verteidigen lassen, sondern eher das Fehlen eines Glaubens an das Ideal, auf dem sie ihre eigene Überzeugung aufgebaut hatte: die Überzeugung, daß die Wissenschaft in der Lage sei, sämtliche Probleme zu lösen. Er konnte ihre Meinung mit dem besten Willen nicht teilen. Für ihn gab es bloß die Religion, wenn er auch an den Gott des Christentums nicht glauben konnte. Dieser Gott, als symbolische Macht hinsichtlich der Unerklärlichkeit des Christentums gesehen, war für ihn nie persönlich genug gewesen. Seine Ratio hatte ihm gesagt, daß es Gott nicht gibt, wie ihm sein Unterbewußtsein gesagt hatte, daß der Glaube an die Wissenschaft nicht genügt.
»Die Wissenschaft ist gegen die Religion«, hatte Monica einmal gesagt. »Es spielt gar keine Rolle, wieviel Jesuiten sich zusammensetzen, um ihre Sicht der Wissenschaft zu rationalisieren; die Tatsache bleibt, daß die Religion den fundamentalen Standpunkt der Wissenschaft nicht akzeptieren kann, wobei die Wissenschaft als solche die fundamentalen Prinzipien der Religion pausenlos attackiert. Das einzige Gebiet, auf dem es keine Differenzen gibt und damit keine Streitsucht, ist die Himmelfahrt. Man kann an ein übernatürliches Wesen glauben oder nicht, wenn man aber damit anfängt, die eigene und persönliche Auferstehung zu diskutieren, macht niemand mehr mit.« »Du redest, als ob …«
»Ich spreche von der Religion als Gegenstück zum Glauben. Wer braucht schon das Ritual der Religion, wenn ein um Längen überlegenes Ritual zur Verfügung steht, nämlich das der Wissenschaft. Die Religion ist ein Ersatz für Wissen, aber Ersatz ist schon längst nicht mehr gefragt, Karl. Die Wissenschaft bietet eine viel sichere Basis, auf der sich gedankliche und ethische Systeme aufbauen lassen. Die Seligkeit eines Himmelreichs und den Fluch einer Hölle braucht man nicht mehr, wenn einem die Wissenschaft die Konsequenzen gewisser Handlungen aufzeigt und der Mensch sich selbst richten kann.«
»Ich kann sie einfach nicht als Gottheit akzeptieren, deine Wissenschaft.«
»Weil du krank bist. Ich bin es auch, aber ich habe wenig
stens den Wunsch nach Gesundheit.«
»Und ich den Wunsch nach dem Tod …«
Wie verabredet küßte ihn Judas auf die Wange, und die Tempelwächter und die römischen Soldaten umzingelten ihn. »Ich bin der König der Juden«, hatte er zu den Römern gesagt.
Und zu den Pharisäern: »Ich bin der Messias, der gekommen ist, euch zu zerstören.«
Jetzt sollte er verurteilt werden, und das Ende sollte beginnen.
VII
Es war ein schlampiger Prozeß, ein willkürlicher Wirrwarr aus römischen und jüdischen Gesetzen, und letztlich war niemand zufrieden. Geschweige denn befriedigt. Mehrere Konferenzen zwischen Pontius Pilatus und Kaiphas, drei Versuche, ihre verschiedenen legalen Systeme auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und der extremen Situation gerecht zu werden. Beide brauchten einen Sündenbock, und schließlich war der Zweck erreicht, und der Besessene wurde verurteilt: wegen Rebellion gegen die Römer einerseits und wegen Ketzerei andererseits. Ein besonderes Merkmal des Prozesses übrigens war der Umstand, daß seine Jünger gegen ihn aussagten und den Eindruck machten, als wollten sie seine Verurteilung.
Die Pharisäer ließen sich davon überzeugen, daß auf Grund der Zeit und der Situation die römische Hinrichtungsmethode angebracht sei, und es wurde beschlossen, ihn zu kreuzigen. Der Mann genoß jedoch Ansehen, deshalb mußten altbewährte Methoden in Anwendung gebracht werden, um ihn zu demütigen und in den Augen der Pilger zu einer lächerlichen Figur zu machen. Pilatus versprach den Pharisäern, sich um diesen Punkt zu kümmern, ließ aber vorsichtshalber ein Dokument unterschreiben, das ihn rückversicherte.
Die Soldaten aber führten ihn in das Innere des Palastes, das heißt des Prätoriums, hinein, und riefen die ganze Kohorte zusammen. Dann zogen sie ihm einen Purpurmantel an und setzten ihm eine Dornenkrone auf, die sie geflochten hatten. Und sie fingen an, ihm zu huldigen: »Heil dir, König der Ju den.« Und sie schlugen ihn mit einem Rohr auf das
Weitere Kostenlose Bücher