Der Eroberer
»Der ist es, dem ich den Bissen eintauchen und geben werde.« Darauf tauchte er den Bissen ein, nimmt ihn und gibt ihn dem Judas, dem Sohn des Simon Ischariot. Und nach dem Bissen, da fuhr der Satan in ihn. Jesus sagt nun zu ihm: »Was du tun willst, tue sogleich.«
(Johannes 13:20-27)
Judas Ischariot runzelte vor Unsicherheit die Stirn, verließ den Raum und ging auf die bevölkerte Straße hinaus. Er arbeitete sich durch die Menschenmenge. Sein Ziel war der Palast des Gouverneurs. Er sollte eine gewisse Rolle in einem Plan spielen, der die Römer täuschen und das Volk zur Verteidigung Jesu anstacheln sollte, aber er für seine Person hielt den Plan für tollkühn. Die Stimmung unter der aufgewühlten Menschenmenge knisterte wie elektrisch geladen. Viel mehr römische Söldner als gewöhnlich bewachten die Straßen.
Pilatus war ein untersetzter Mann. Sein Gesicht war gezeichnet von seiner Genußsucht, seine Augen waren hart und undurchsichtig. Er sah herablassend auf den Juden herunter.
»Wir zahlen nichts für Informationen, die bewiesenermaßen
falsch sind«, sagte er.
»Ich will kein Geld, Herr«, sagte Judas mit gespielt demütiger Miene. »Ich bin ein treuer Untertan des Kaisers.« »Wer ist dieser Rebell?«
»Jesus von Nazareth, Herr. Er ist heute in die Stadt gekommen.«
»Ich weiß. Ich habe ihn gesehen. Aber, wie ich höre, predigt
er den Frieden und sagt, daß man sich dem Gesetz beugen
muß.«
»Nur, um zu täuschen, Herr.«
Pilatus runzelte die Stirn. Das war natürlich möglich und
paßte genau zu dem Bild, das er sich im Laufe der Zeit von
diesem Menschen gemacht hatte.
»Hast du Beweise?«
»Ich bin einer seiner Jünger. Ich bin bereit, seine Schuld zu bezeugen.«
Pilatus leckte sich über die dicken Lippen. Er konnte es sich im Moment nicht leisten, die Pharisäer zu beleidigen. Vor allem Kaiphas würde als erster schreien, wenn er den Mann verhaftete.
»Er behauptet, der wahre König der Juden zu sein, vom Stamme Davids«, sagte Judas, womit er wiederholte, was sein Herr ihm aufgetragen hatte.
»So?« Pilatus sah nachdenklich aus dem Fenster.
»Und, was die Pharisäer angeht, Herr …«
»Nun?«
»Die Pharisäer mißtrauen ihm, Herr. Sie wollen seinen Tod. Er spricht gegen sie.«
Pilatus nickte. Mit undurchdringlichem Blick wog er die Information ab.
Es war durchaus möglich, daß die Pharisäer den Besessenen haßten, aber sie würden keine Sekunde zögern, aus seiner Verhaftung Kapital zu schlagen. Politisch natürlich.
»Die Pharisäer wollen, daß er gefangengenommen wird«,
fuhr Judas fort. »Das Volk läuft zusammen, um den Propheten
predigen zu hören, und heute haben viele in seinem Namen im
Tempel Unruhe gestiftet.«
»Stimmt das?«
»Ja, Herr, es stimmt.«
Es stimmte tatsächlich. Eine Handvoll Männer hatte die Geldwechsler angegriffen, ihre Tische umgestoßen und sie auszurauben versucht. Nach ihrer Verhaftung hatten sie behauptet, lediglich den Willen es Nazareners befolgt zu haben. »Ich kann ihn nicht gefangennehmen«, sagte Pilatus nachdenklich.
Die Situation in Jerusalem war bereits gefährlich genug. Wenn er diesen »König« verhaftete, würde er vielleicht endgültig einen Aufruhr der Juden heraufbeschwören. Und Tiberius würde ihn dafür verantwortlich machen, nicht die Juden. Die Pharisäer mußten auf seine Seite gebracht und dazu überredet werden, die Gefangennahme zu übernehmen.
»Warte hier«, sagte er zu Judas. »Ich schicke nach Kaiphas.«
Und sie kamen zu einem Gehöft namens Gethsemane, und er sprach zu seinen Jüngern: »Setzt euch hier nieder, während ich bete.« Und Petrus, Jakobus und Johannes nahm er mit sich und begann zu erschauern und zu zagen und sprach zu ihnen: »Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Bleibt hier und wa chet.«
(Markus 14:32-34)
Glogauer sah die Menge näher kommen. Zum ersten Mal seit Nazareth fühlte er sich ermattet und völlig ausgelaugt. Man würde ihn töten. Er mußte sterben; die Tatsache als solche hatte er bereits akzeptiert, aber er hatte Angst vor den Qualen, die er erleiden sollte. Er setzte sich auf den Boden und sah zu, wie die Fackeln näher kamen.
»Das Märtyrertum als Ideal hat nur im Denken einiger weniger Asketen existiert«, hatte Monica gesagt. »Alles anders ist morbider Masochismus, eine einfache Art, sich jeglicher Verantwortung zu entziehen. Eine Methode, repressive Menschen unter Kontrolle zu halten …« »So einfach ist das nun auch wieder nicht.« »Doch, Karl.«
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