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Der Eroberer

Der Eroberer

Titel: Der Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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»Laß los. Wenn ich sage, daß ich morgen gehe, tue ich es auch.« Seine gelben Finger hielten sie gepackt. »Laß jetzt los, Miranda!« »Das Gewehr! « »Verschwinde, Nicholas!«
    Sie hechelte nach Luft. Ihr schmutziges Gesicht war gezeichnet. Die Hand hielt immer noch das Messer, von dem Blut auf die Leiche des Vaters tropfte.
    Sag mir nur adieu, Miranda. Mehr will ich nicht. Ich liebe
dich.
Ihr magerer Körper zitterte.
    Sie ging mit vorsichtigen Schritten zur Tür und langte nach dem Riegel. Der Ärmel rutschte über den Arm, der voller Blutergüsse war. Sie schob den Riegel zurück. »Verschwinde, Nicholas!«
    Seine Stimme kam aus zerrissenen Wolken. Miranda.
    Die Luft war scharf, so scharf wie die Stimme.
    Sie blickte über den Hausgiebel nach oben, sah seine verrückten Gleit- und Sturzflüge und hörte das Sausen seines Körpers. Dann flog er kreisend hinaus aufs Meer und rief mit schriller, gequälter Stimme: Adieu, Miranda. Sie spürte, wie das Herz in ihrer Brust pochte, und umklammerte das Messer. Miranda.
    »Oh …« Das Messer drang in ihr Fleisch; sie taumelte rückwärts gegen die Schwingtür und stürzte mit dumpfem Schlag auf den Steinboden.

    Licht drang aus dem Haus und verflüchtigte sich in der Dunkelheit, als er zurückkam. Er landete neben der Tür, und weil er auf den Beinen zu schwach war, schwebte er ins Haus, wo er die Leichen entdeckte.
    Er war verwirrt. Sein dunkles, hageres, zerfurchtes Gesicht
    verriet, mit welcher Mühe er um einen klaren Gedanken rang.
Doch dazu war er nicht mehr imstande.
Miranda.
Er schüttelte den Kopf.
Über dem Boden schwebend glitt er mit dem Rücken voran
zur Tür.
Adieu, Miranda.
    Er flog fort, und eigentümlicherweise war in seinem lauten Rufen nicht die Spur von Trauer.

Im Fluß

    Max File beugte sich zur Fahrerkabine vor und fragte ungeduldig: »Wann sind wir endlich da?«
    Da fiel ihm ein, daß der Wagen ohne Chauffeur fuhr. Als amtierender Marschall der nuklearen Verteidigung in Europa leistete er sich gewöhnlich den Luxus eines Chauffeurs. Aber heute war er im geheimen Auftrag unterwegs; nicht einmal er kannte den Bestimmungsort.
    Der Streckenplan war im automatischen Kontroller des Wagens sicher gespeichert.
    Er lehnte sich zurück. Alle Einwände waren letztlich unangebracht.
    Nach etwa einer halben Meile auf der Main Way bog der Wagen in den zentralen Verkehrskreis ein, über den alle Personen- und Nutzfahrzeuge wie auf einem riesigen Karussell in die umliegenden städtischen Systeme geschleust wurden. Während der Fahrt durch die älteren Stadtteile blieb der Wagen dicht am Boden. File war dankbar dafür, ohne es sich offen einzugestehen. Über ihm, im Paradies der Ingenieure, herrschte schon seit langem ein ständiges, bis zum Horizont reichendes Brummen und Surren, das in letzter Zeit zunehmend diffuser wurde. An Lautstärke hatte der Lärm zwar nicht zugelegt, aber er klang nun chaotischer und deshalb angenehmer für seine Ohren. Zweimal mußte der Wagen vor dichten Fußgängerströmen anhalten, die aus den Stationen der öffentlichen Hochdruckzüge fluteten. Schwitzend und mit gesenktem Kopf bahnten sich die Leute den Weg zur Arbeit.
    Gelassen wartete File die Verzögerungen ab, obwohl er bereits zu spät für das Treffen war. Was hatte das alles nur zu bedeuten, fragte er sich, was sollte dieser Gargantua, der unablässig bellend über dem ganzen Kontinent hockte? Er schlief nie und hörte nie auf, seine Kraft stolz hinauszuposaunen. Wie wohltätig er auch den Millionen und Abermillionen seiner Bewohner gegenüber sein mochte, so war doch zweifellos jeder einzelne von ihnen sein Sklave.
    Wie hatte es angefangen, was würde aus dem Monstrum werden? Es war innerlich bereits zu verwuchert, daß die Menschen in ihm kaum mehr Platz zum Leben fanden. Wenn man es aus dem All sähe, dachte er, wären keine Menschen zu erkennen; es würde als eine sich schnell bewegende Maschine mit bemerkenswerter Kraft, aber ohne Nutzen erscheinen. Max File hatte nur wenig Vertrauen in die Europäische Gemeinschaft und ihre Zukunftsaussichten. Sie war schnell gewachsen – über die Köpfe ihrer Planer hinaus. Er glaubte, Vorzeichen für ihren unausweichlichen Kollaps bereits erkennen zu können.

    Vorsichtig glitt der Wagen durch die Menge, stieß auf eine freie Spur und setze seine komplizierte Route fort. Nach einer von Schildern, Schikanen und Kreuzungen genötigten Irrfahrt hielt er schließlich vor einem kleinen, zehnstöckigen Gebäude, das einen

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