Der Eroberer
Haupt und spien ihn an, beugten die Knie und fielen vor ihm nieder. Und nachdem sie ihn verspottet hatten, nahmen sie ihm den Pur purmantel ab und zogen ihm seine eigenen Kleider an. (Markus 15:16-20)
Sein Geist war vom Schmerz und dem Ritual der Demütigung umnebelt; und davon, daß er sich so völlig mit seiner Rolle identifiziert hatte.
Er war zu schwach, um das schwere, hölzerne Kreuz zu tragen und ging dahinter her, als würde er von dem Cyrenaiker, den die Römer dazu gezwungen hatten, gen Golgatha gezogen. Als er, von denen beobachtet, die geglaubt hatten, er würde sie gegen die Römer anführen, durch die bevölkerten, stillen Straßen taumelte, füllten sich seine Augen mit Tränen. Sein Blick war getrübt, und er strauchelte immer wieder und fiel, um jedesmal aufgezerrt und weitergetrieben zu werden.
»Du bist zu emotionell, Karl. Du mußt deinen Verstand einsetzen und dich zusammenreißen.«
Sein Gedächtnis kannte die Worte, er konnte sich aber nicht erinnern, wer sie gesagt hatte. Auch wer Karl war, wußte er nicht.
Der Weg, der den Hügel hinaufführte, war steinig, und er rutschte mehrmals aus. Er mußte an einen anderen Hügel denken, auf den er vor langer Zeit gestiegen war. Damals mußte er noch ein Kind gewesen sein – wenn ihn die Erinnerung nicht trog. Er atmete schwer und mühsam. Die Dornen in seiner Stirn spürte er kaum, aber sein ganzer Körper schien mit dem Schlag seines Herzens zusammen zu pulsieren.
Der Abend senkte sich auf das Land. Die Sonne ging unter. Oben auf dem Hügel angekommen, fiel er auf das Gesicht, zerschnitt sich an einem kantigen Stein und verlor die Besinnung.
Und sie führten ihn zu der Stätte Golgatha, das heißt übersetzt: Schädelstätte. Sie gaben ihm mit Myrrhe gewürzten Wein, er aber nahm ihn nicht.
(Markus 15:22-23)
Er schlug den Becher zur Seite. Der Soldat zuckte mit den Schultern und packte ihn am Arm. Ein zweiter Soldat hielt bereits seinen anderen Arm.
Als Glogauer wieder zu sich kam, zitterte er am ganzen Körper. Als sich die Stricke in das Fleisch seiner Handgelenke und Fesseln schnitten, stöhnte er laut auf und wehrte sich. Er spürte etwas Kaltes in seiner Handfläche. Obwohl es die Haut nur an einem Punkt zu berühren schien, fühlte es sich schwer an. Er hörte ein Geräusch, das auch im Rhythmus seiner Herzschläge war. Er wandte den Kopf und betrachtete seine Hand.
Ein Soldat schwang einen großen Hammer und trieb ihm einen Nagel in die Hand. Das Kreuz, auf das sie ihn gezerrt hatten, lag flach auf dem Boden. Er sah zu und war erstaunt, daß er keinen Schmerz empfand. Als der Nagel auf den Widerstand des Holzes traf, holte der Soldat weiter aus. Zweimal verfehlte er den Nagel und schlug Glogauer auf die Finger. Glogauer blickte zur anderen Seite und sah, daß auch dort ein Soldat einen Nagel einschlug. Er spürte, wie das Eisen durch seine Hand glitt, und hörte die Hammerschläge. Der zweite Soldat schien weniger geschickt zu sein, denn die Finger dieser Hand waren ziemlich zermanscht.
Der erste Soldat war fertig und begann jetzt Glogauers Füße mit Nägeln zu durchbohren. Wieder dieses Gleiten durch das Fleisch und das Hämmern.
Mit großer Mühe stellten sie schließlich das Kreuz auf. Glo
gauer sah, daß er allein war.
Man kreuzigte sonst niemand.
Er sah die Lichter Jerusalems deutlich unter sich. Am Himmel bloß noch ein schwacher Schein. Bald würde es dunkel sein. Nur ein paar Leute schauten zu. Eine der Frauen erinnerte ihn an Monica. »Monica?« rief er zu ihr hinunter.
Aber seine Stimme war gebrochen, und das Wort war bloß
ein Flüstern. Die Frau sah nicht hoch.
Sein Körper zog an den Nägeln, und er glaubte, in der linken Hand einen leichten Schmerz zu spüren. Er schien stark zu bluten.
Seltsam, daß ausgerechnet er hier hing. Möglicherweise handelte es sich um das Ereignis, dessen Zeuge er hatte sein wollen. Deshalb war er ja hierhergekommen. Ja, so mußte es sein. Alles genau nach Plan gelaufen. Der Schmerz in der linken Hand wurde stärker.
Er sah auf die römischen Soldaten herunter, die am Fuß des Kreuzes saßen und würfelten. Sie waren ganz auf ihr Spiel konzentriert. Die Punkte auf den Würfeln konnte er aus dieser Entfernung nicht erkennen.
Er seufzte. In seiner Brust ein Stechen. Die Qual wurde unerträglich. Er stöhnte.
Die Schmerzen erfaßten seinen ganzen Körper. Er biß die Zähne zusammen. Es war grauenvoll. Er winselte und schrie. Er bäumte sich auf.
Kein Lichtschein mehr am Himmel.
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