Der Eroberer
Schwarze Wolken ver
dunkelten Mond und Sterne.
Flüsternde Stimmen.
»Laßt mich herunter!« rief er. »Bitte – laßt mich herunter!«
Der Schmerz erfüllte ihn. Der Kopf fiel ihm auf die Brust, aber niemand machte ihn los.
Etwas später hob er den Kopf und bäumte sich noch einmal
auf.
»Laßt mich herunter! Bitte – hört auf!«
Er wußte, daß er den nächsten Tag nicht erleben würde. So grauenvoll hatte er es sich nicht vorgestellt.
Und in der 9. Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: »Eloï, Eloï, lema sabachtani«, das heißt übersetzt: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«
(Markus 15:34)
Glogauer hustete. Es war ein trockenes, kaum gehörtes Geräusch, doch den Soldaten unter dem Kreuz entging es nicht, denn die Nacht war sehr still.
»Komisch«, sagte einer. »Gestern haben sie ihm noch gehuldigt und heute wollten sie, daß wir ihn töten. Sogar seine Jünger.«
»Ich kann es kaum erwarten«, sagte ein anderer, »bis wir aus diesem Land sind.«
Wieder hörte er Monicas Stimme: »Schwäche und Angst haben
dich dazu getrieben, Karl. Märtyrertum ist Eigendünkel. Siehst
du das jetzt endlich ein?«
Schwäche und Angst.
Wieder hustete er, und wieder der Schmerz, aber er war dumpfer.
Kurz bevor er starb, sprach er noch einmal und murmelte die Worte, bis ihm der Atem ausging.
»Es ist eine Lüge. Es ist eine Lüge. Es ist eine Lüge.«
Später, als seine Leiche von Dienern einiger Ärzte gestohlen worden war, kam das Gerücht auf, er sei gar nicht gestorben. Seine Leiche jedoch zersetzte sich bereits auf dem Seziertisch und sollte bald zerstückelt werden.
Aus dem Englischen übersetzt von Ute Seeßlen
Adieu, Miranda
Adieu, Miranda.
Adieu, Miranda.
Miranda.
Seine Kapriolen über dem grauen Wasser glichen dem Flug
eines Seevogels. Er war wie toll.
Adieu, Miranda.
Das kreischende Lachen hob sich häßlich ab vom Tosen der Brandung. Es schmerzte zu sehr in den Ohren, als daß man daran hätte Gefallen finden können. Die einzige Reaktion auf den Lärm war der Wunsch, ihn abzustellen, so schnell wie möglich. Aber er ließ sich nicht fangen. Nicholas konnte fliegen. Miranda.
»Ich wünschte, ich hätte ein Gewehr, Miranda.« »Würdest du ihn erschießen, Vater?«
»Mit Sicherheit. Mausetot. Warum macht er das?«
»Er ist verrückt, Vater. Wenn ich ein Gewehr besorge, würdest du ihn dann erschießen?«
»Sicher. Mausetot. Ich halte es nicht aus. Er quält uns ab
sichtlich.«
»Ich habe ihn geliebt.«
»Weiß ich … früher einmal. Aber das kann keine Entschuldigung dafür sein, daß er hier rumheult wie ein Todesengel. Grad so.«
»Das ist Liebe, Vater … Liebe, in Wahnsinn umgeschlagen. Er sollte erschossen werden. Ich glaube, gerade das will er.« »Ich auch, soviel steht fest.«
Sie waren in dem kleinen Haus auf der Landzunge. Hinaus gingen sie nicht. Seit zwei Tagen und Nächten trieb er sich nun schon draußen herum. Der verrückte Flieger. Er hätte wohl besser nichts davon erzählt – vom Schweben. Hätte es für sich behalten sollen. Ging ja keinen etwas an. Welcher Vater würde es auch zulassen, daß seine Tochter ein Gespenst heiratet. Nun, es war passiert, was kommen mußte, und er hatte sie zu guter Letzt doch gefunden. Miranda war sich von vornherein darüber im klaren gewesen. Herrje, wäre doch nur ein Gewehr da …
Bitte komm nach draußen und sag adieu, Miranda.
Er saß wieder auf dem Dach.
Ich bin’s nur … Nicholas.
Die schrille Stimme drang wie die eines Vogels durch den
Kamin.
Sag mir adieu, Miranda.
Sie hielt sich die Ohren zu und verzog das Gesicht. Seine Stimme zerrte an ihren Nerven, löste physische Schmerzen aus. »Mach ein Ende, Vater!«
»Wie könnte ich das? Hätte ich ein Gewehr, würde ich ihn
abschießen.«
»Dann müssen wir ein Gewehr besorgen.«
»Wo? Woher sollen wir eins bekommen?«
»Du mußt ins Dorf.«
»Nicht, solange er da draußen ist.«
Oh, Miranda. Sag mir nur adieu.
»Adieu, adieu, adieu! Verschwinde, Nicholas! Verschwinde! Bitte!«
»Das macht er extra. Mein Gott, er treibt uns auch noch in den Wahnsinn. Morgen gehe ich ins Dorf. Ich riskier’s. Drei Tage. Mein Gott!«
Miranda.
»Morgen«, sagte er. »Morgen gehe ich, ganz bestimmt.« »Das hast du auch gestern schon gesagt.«
»Nun, ich gehe morgen. Schläft er denn überhaupt nicht?« Miranda. Adieu.
Sie sprang mit gekrallten, bleichen Händen den Vater an. »Geh, Vater. Hol das Gewehr! Das Gewehr! Das Gewehr!« »Morgen.« Er rang mit ihr.
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