Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eroberer

Der Eroberer

Titel: Der Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
Vom Netzwerk:
düsteren und kräftigen Stempel von Autorität trug. Die Wachen im Eingang machten die Ernsthaftigkeit des Notfalls deutlich. File wurde zu einer Suite im fünften Stock eskortiert. Hier führte man ihn in einen fensterlosen Raum mit holzverkleideten Wänden und gedämpftem Licht. Die Regierung der Europäischen Gemeinschaft hatte bereits an dem ovalen Tisch konferiert und erwartete ihn. Die Minister blickten auf, als er den Raum betrat.
    Sie bildeten eine merkwürdig gelassene, doch gleichzeitig strenge, formelle Gruppe. Alle trugen einheitliche dunkle Anzüge. Vor ihnen lagen fein säuberlich geordnet unbeschriebene Papierbögen. Im Raum herrschte eine Atmosphäre routinierter Gezwungenheit. Die meisten Minister grüßten File nur mit einem flüchtigen Kopfnicken und senkten gleich darauf wieder den Blick. File erwiderte ihren Gruß in gleicher Form. Er kannte sie alle, wenn auch nur oberflächlich. Aus irgendei nem Grund hielten sie ihm gegenüber Distanz, trotz seiner hohen Position – für die er, wie es schien, schon als Kind bestimmt gewesen war.
    Nur Ministerpräsident Strasser stand auf, um ihn willkommen zu heißen.
    »Bitte nehmen Sie Platz, File«, sagte er. File schüttelte die ausgestreckte Hand des alten Mannes und ging an seinen Platz. Strasser ergriff gleich das Wort und ließ verlauten, daß die Sitzung kurz und aufs Thema konzentriert sein solle.
    »Wie wir alle wissen«, fing er an, »droht Europa ein Bürgerkrieg. Die meisten von uns wissen allerdings auch, daß wir hier und heute nicht über Aktionen diskutieren … das sage ich vor allem, um Sie zu beruhigen, File. Wir wollen hier über unsere Lage beraten und Vorschläge sammeln.«
    Strasser setzte sich und nickte flüchtig dem Mann zu seiner Linken zu. Standon, blaß und mager, lenkte seinen Blick auf File und sagte: »Als wir uns zum ersten Mal mit dem Problem befaßten, glaubten wir, es mit einer Krise herkömmlichen Musters zu tun zu haben. Es galt demnach, die Ziele und Absichten der streitenden wirtschaftlichen und politischen Parteien zu bestimmen und zu entscheiden, welche dieser Parteien unterstützt und welche bekämpft werden sollte. Es dauerte nicht lange, und wir erkannten unseren Irrtum.
    Zunächst mußten wir uns klarmachen, daß Europa bloß eine politische und keine nationale Einheit ist, was für eine normale Aktionsbasis hinderlich ist. Dann versuchten wir, das gesamte System Europa zu verstehen … ohne Erfolg. Als Wirtschaftskomplex ist Europa unergründlich.«
    Er legte eine Pause ein. Hinter der Maske seines Gesichts schien eine merkwürdige Gefühlsregung aufzukeimen. Nervös rückte er hin und her und fuhr dann in einem kräftigeren Tonfall fort: »Wir sind die erste Regierung der Geschichte, die sich darüber im klaren ist und zugibt, die Ereignisse und Entwicklungen nicht mehr kontrollieren zu können. Ein so komplexes, dynamisches Phänomen wie unseren Kontinent hat es auf diesem Planeten noch nicht gegeben. Die Kontrolle über ihn ist uns ebenso unmöglich wie die Kontrolle über die Wachstumsmechanismen eines lebendigen Organismus. Manche von uns vertreten inzwischen sogar die Ansicht, daß die europäische Industrie tatsächlich ein lebendiger Organismus ist … dem jedoch im Unterschied zu natürlichen Lebewesen angemessene Regelsysteme fehlen. Er verdankt dem Zufall seine Existenz und entwickelt sich nun nach eigenen Gesetzen. Einer von uns …«, er deutete auf den finster dreinblickenden Brown-Gothe am anderen Ende des Tisches, »… hat unser Problem mit einem Krebsgeschwür verglichen.«
    File fühlte sich durch die Schlußfolgerungen des Ministers in seinen eigenen, erst vor wenigen Minuten gefaßten Gedanken bestätigt.
    »Europa leidet unter Verdichtung«, erklärte Standon weiter. »Alles ist so komprimiert, Energien und Prozesse stoßen so hart aneinander, daß das gesamte System zu einem physikalisch völlig ausgefüllten Raum zusammengeschmolzen ist. Für die Politik heißt das: Es mangelt an Manövrierfähigkeit. Wir sind also nicht in der Lage, bestimmte Entwicklungsströme zu kanalisieren; wir wissen nicht einmal, wie sich eventuelle Maßnahmen unsererseits auswirken. Kurz, die Zukunft liegt völlig im dunkeln, ob wir sie nun mitzugestalten versuchen oder nicht.«
    File sah sich im Kreis um. Die meisten Minister starrten immer noch teilnahmslos auf ihr Notizpapier. Strasser und Standen sowie ein oder zwei andere blickten ihn erwartungsvoll an. »Ich bin zu dem gleichen Schluß gekommen«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher