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Der Eroberer

Der Eroberer

Titel: Der Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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vom permanenten Druck der Klaustrophobie befreite, entstand das gegenteilige Extrem: das Leid der Agoraphobie. Die Menschen, die an ein enges Zusammenleben gewöhnt waren, wurden unruhig, und die vor dem Experiment aufgeladenen Spannungen wichen nun in andere Kanäle aus. Der Mob, in dem die schlimmsten Formen von Neurosen grassierten und absolute Willkür herrschte, stürmte die Katakomben der Scheintoten und verlangte die Wiederbelebung von Verwandten und Freunden. Beamte, die die aufgebrachte Menge zu beruhigen versuchten, wurden in den einsetzenden Tumulten entweder ermordet oder zur Flucht gezwungen. Schließlich war keiner mehr da, der die Maschinen zur Versorgung der Scheintoten bedienen konnte, und so machte sich der Mob am endgültigen Tod der Menschen schuldig, die er hatte aufwecken wollen.
    Als das Komitee in Südeuropa anlangte, fand es eine absterbende Gesellschaft vor. Nur wenig war unternommen worden, die Lage zu verbessern. In den entvölkerten Ballungsgebieten lebten kleine Gruppen, die sich gegen umherziehende Banden zur Wehr setzen mußten. Sie kamen aus Frankreich, Spanien und Italien, wo ein religiöser Fanatiker Jahre zuvor völlig unerwartet einen heiligen Krieg gegen die automatisierte, aber funktionstüchtige Gesellschaft angezettelt hatte. Die »Zurück zur Natur«-Bewegung eskalierte. Ihr fielen zahlreiche Kraftwerke zum Opfer, und mit Millionen von Tonnen Erde, die man aus Afrika importierte, wurden die Ruinen zugeschüttet. In dem anschließenden Chaos kämpften die Menschen um jeden Bissen Nahrung und horteten das, was die unfruchtbare Erde an Ertrag bereitstellte. In Großbritannien, wo sich die Auswirkungen des Zusammenbruchs bereits bemerkbar machten und Versorgungsengpässe entstanden waren, hatte man damit begonnen, dem Süden mit Sonderleistungen zu helfen. Die britische Regierung war aber zur Aufgabe dieser Maßnahmen gezwungen, als ein neues Problem in den eigenen Grenzen auftauchte: Eine unbekannte, dem Typhus vergleichbare Seuche breitete sich aus. Sie rührte, wie man feststellen konnte, von jugoslawischen Flüchtlingen her, die ihrerseits an einem synthetischen Lebensmittel erkrankt waren, das den Erreger enthielt. Als wir Südeuropa erreichten, war der öffentliche Betrieb völlig zusammengebrochen. Nur die Dalmeny-Stiftung (die uns beauftragt hatte) sowie ein paar weniger gut organisierte Gruppen leisteten ein Minimum an notwendiger Arbeit …
    Während File die deprimierenden Berichte las, spürte er, wie ihm das Blut in den Adern gerann. Immer wieder prüfte er die Dokumente. Schließlich lehnte er sich zurück und grübelte. Die tölpelhaften Experimente entsetzten ihn. Sie bestätigten in eindrücklicher Weise, was ihm bei der Kabinettsitzung mitgeteilt worden war. Er zweifelte nun an der Möglichkeit, die Katastrophe noch abwenden zu können. Wäre ein so kluger Kopf wie Appeltoft in der Lage, gegen die blinde und törichte Mehrheit etwas auszurichten? Vorausgesetzt, es gelänge ihm mit Hilfe von Files Nachrichten eine zweckdienliche Analyse des Zeitgeschehens …
    Spekulationen, so sagte sich File, gehörten nicht zu seinem Auftrag. Appeltofts Zuversicht hatte womöglich doch einen soliden Grund. Ungeduldig eilte er zurück ins Labor, bestieg den Sessel der Zeitmaschine und schaltete den Hebel auf »Start«. 000009.000.0000003 …
    Wie zuvor umhüllte ihn bald grauer Dunst. Rotation und Impuls nahmen seine Sinne in Beschlag.
    Die Meßinstrumente hüpften und tanzten vor seinen Augen. Ziffern klickten in rasender Folge. 0090000.100.02.0000 –
    000175.000.03.0800 – 630946.020.44.1125.
    Irgend etwas lief nicht nach Plan. Verzweifelt versuchte File, die Maschine zu stoppen, um die Kontrollen zu inspizieren. Alle Anzeigen standen nun auf Null.
    Aber das Labor tauchte nicht auf. Es herrschte völlige Dun
kelheit.
Er war im Nichts gefangen.
000000.000.00.0000.
    Wie lange er durch die Leere raste, wußte er nicht. Langsam verdichtete sich wieder der Nebel, und dann, nach scheinbar endlos langer Zeit, traten rotierende, schemenhafte Eindrucke vor seine Augen.
    Schließlich machte die Maschine halt. Doch ohne sich umzublicken, drückte File erneut den Startknopf.
    Nichts passierte. File musterte wiederholt die Meßinstrumente, vor allem den »Zeitpotentiometer«, der nach Auskunft Appeltofts die Zeitreisekapazität registrierte. Auch er stand auf Null. Die Maschine saß fest.
    Dreiunddreißig Prozent der Versuchstiere sind nicht zurück gekommen. File erinnerte sich an

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