Der Eroberer
überraschte ihn das nicht einmal.
Kapitel 42
»Ceidre, du musst kommen, schnell!« keuchte Mary noch im Laufen.
Ceidre, die im Hof zwischen Küche und Haus zwei Sklaven in ihre Aufgaben einwies, fuhr verdutzt herum. »Was gibt's?« fragte sie. »Unser Herr. Er ist verletzt und lässt sich von niemand anfassen. Er verlangt nach dir!«
Beinahe eine Woche war vergangen seit der schändlichen Brautnacht. Und seit dem schmachvollen Mittagsmahl am Tag danach hatte Ceidre Rolfe nicht mehr gesehen. Sie hatte sich im alten Haus aufgehalten und die Bediensteten beaufsichtigt, oder sie war ins Dorf zu ihrer Großmutter gegangen, um sich von ihm fernzuhalten.
Einmal hatte sie den Weg zum Haus durch den Obstgarten abgekürzt und das Waffengeklirr und Geschrei der Männer bei ihren Übungskämpfen gehört. Aus der Ferne hatte sie ihn auf seinem kraftvollen grauen Hengst gesehen, rasch den Blick abgewendet und ihre Schritte beschleunigt. Er hatte sie nicht bemerkt.
Vor zwei Tagen war er mit Guy und einem Dutzend seiner Ritter zur Jagd aufgebrochen. Ceidre wusste, dass die Jagdgesellschaft vor kurzem heimgekehrt war, hatte zuerst das Horn des Wächters gehört, und. danach war die Reiterschar unter lärmendem Hufgetrappel in den Burghof eingeritten. Ceidre hatte zusammen mit Lettie frisches Binsenreisig in der Großen Halle gestreut, ohne der Ankunft der Normannen Beachtung zu schenken. Lettie aber war mit einem Freudenschrei zur Tür gelaufen, um den Einzug der Ritter zu beobachten und ihren Günstlingen zuzuwinken.
Ceidre war es gelungen, die Hochzeitsnacht aus ihren Gedanken zu verdrängen. Nur nachts befiel sie die Erinnerung daran wie ein böser Alptraum, bestürmte sie das Bild des Normannen. Und sie versicherte sich immer wieder, wie sehr sie ihn verabscheute. Die Kränkung wegen seiner Gefühlskälte war abgeflaut, sie hatte sich einen Panzer der Gleichgültigkeit zugelegt. Deshalb wunderte sie sich, dass ihr Blut bei Marys Worten in Wallung geriet.
»Ich hole meinen Arzneikorb«, sagte sie hastig. Er war verletzt!
Ihren Füßen schienen Flügel gewachsen zu sein, im Nu war sie wieder unten in der Halle.
Mary trieb sie händeringend zur Eile an. »Was ist geschehen?« fragte Ceidre bang.
»Ein wilder Eber! Er wurde von einem Eber aufgespießt.«
Und wieder flossen Marys Tränen.
Er war aufgespießt worden. Ceidre ließ die flennende Magd stehen und rannte los. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, ihr Herz flatterte wild. Sie eilte über den Burghof und die innere Zugbrücke, wusste nicht, wie sie die Stufen zur Burg hinauf gehetzt war und die riesige Eichentür aufgestoßen hatte. Die Normannen standen mit ernsten Mienen in Gruppen beisammen und unterhielten sich gedämpft. Es war wie bei einem Begräbnis! Die Ritter traten beiseite, um ihr Platz zu machen, als sie durch die Halle hastete.
An der Schwelle zu seiner Kammer verharrte sie. Alice und Beth standen an seinem Bett, ebenso Guy und Athelstan. Ceidre konnte nur seinen Kopf, Hals und Schultern sehen. Er schien nackt zu sein. Aber er rang nicht mit dem Tode, wie sie befürchtet hatte. Er saß aufrecht mit maskenhaft beherrschtem Gesichtsausdruck. Ihr Herz krampfte sich bei seinem Anblick zusammen. Er war so golden und schön, und die unwiderstehliche, sinnliche Anziehungskraft war wieder zu spüren, die sie in der letzten Woche vergessen geglaubt hatte.
Er sah sie, ihre Blicke begegneten einander. Ceidre, die aufgehört hatte zu atmen, holte nun tief Luft. Zorn stieg in ihr auf. Er war nicht ernsthaft verletzt, das sah sie mit einem Blick. Der Kerl musterte sie so begehrlich, wie ein Mann nur eine Frau musterte, mit der er fleischliche Wonnen genossen hatte, mit einer Unverschämtheit, die ihr zu verstehen gab, dass er diese Wonnen zu wiederholen gedachte.
»Komm«, befahl er mit fester Stimme. »Ich bin verletzt.«
Wenn er verletzt ist, bin ich eine Hexe, dachte Ceidre spöttisch. Sie presste die Lippen aufeinander und trat vor. Ihr Herz hämmerte. Die beiden Männer machten ihr Platz. Alice rührte sich nicht von der Stelle, legte nur ihre zarte, bleiche Hand besitzergreifend auf seine Schulter. Der Anblick bereitete Ceidre Übelkeit.
Dann sah sie, dass er tatsächlich verletzt war, und ihr entfuhr ein Schrei.
Er war völlig nackt. An seinem rechten Schenkel klaffte eine blutige Wunde, die sich von der Hüfte bis zum Knie zog. »Bring heißes Wasser und frische Tücher«, befahl Ceidre der Magd und kniete neben dem Bett nieder, Alice zu Füßen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher