Der Eroberer
tapferen Krieger, der zugleich ein gutmütiger, friedfertiger Mensch war. Welche Frau könnte sich glücklicher schätzen? Sie war eine Närrin, wenn sie ihn weiter auf Abstand hielt.
Diese Gedanken gingen ihr in rascher Folge durch den Sinn, und sie war von der Logik ihrer Überlegungen überzeugt.' Und dennoch konnte sie ihr Herz nicht dafür erwärmen, die Beziehung zu ändern. Sie hoffte nur, es liege nicht daran, dass das Bild einer goldfarbenen, heidnischen Gottheit sich immer wieder in ihre Gedanken drängte.
Kapitel 47
Ceidre war überrascht, welche Zuvorkommenheit die Männer des Normannen ihr beim Nachtmahl entgegenbrachten. Die in ihrer Nähe sitzenden Ritter erkundigten sich höflich nach ihrem Befinden, und Beltain entschuldigte sich in aller Form. Ceidre errötete vor Verlegenheit. »Seit meiner Kindheit«, erklärte sie ihm, »habe ich diese unnatürliche Angst vor dem Kellerverlies. Das konntet Ihr nicht wissen.«
Sie nahm neben ihrem Ehemann Platz, der zu Rolfes Rechten saß. Alice war nicht zum Mahl erschienen. Ceidre vermied es, Rolfe anzusehen, war sich seiner Gegenwart indes deutlich bewusst, jeder seiner Gesten, jedes seiner Worte. Erinnerungen an seine zärtlichen Trostworte bestürmten sie, ob sie nun echt oder nur geträumt waren. Als er das Wort an sie richtete, blieb ihr keine andere Wahl, als ihn anzusehen.
»Wie fühlt Ihr Euch heute, Lady Ceidre?«
Lady Ceidre, nicht einfach Ceidre und das vertrauliche Du. In Haltung und Gesichtsausdruck wirkte er entspannt und locker, nur in seinen blauen Augen blitzte etwas Verwegenes. Er war so schön, dass ihr der Atem stockte. »Ich fühle mich wieder wohl.«
Er nickte und wandte sich an Athelstan und redete mit ihm über einen frischen Wurf Wolfshunde.
Nachdem sie ihn einmal angesehen hatte, kehrte Ceidres Blick ständig zu ihm zurück. Er hatte eine machtvolle, majestätische Ausstrahlung. Und unwillkürlich musste sie daran denken, dass ihre Brüder auf Nachricht von ihr warteten. Albie hatte ihr eingeschärft, Feldric bald wieder mit einer Botschaft in die Sümpfe zu schikken. Aber es gab keine Neuigkeiten; sie war nicht seine ,Geliebte geworden, hatte sich sein Vertrauen nicht erschleichen können.
Mittlerweile fiel es ihr schwer, eine Begründung zu finden, wieso sie sich so heftig geweigert hatte, seine Buhle zu werden. Sie empfand keinen Hass mehr gegen ihn. Als spüre er ihren Blick, wandte er ihr sein Gesicht zu.
Ihre Augen begegneten einander und verschmolzen, bis Ceidre die Lider senkte und sich dem Essen widmete.
Sie war so sehr in ihre eigenen Sorgen vertieft gewesen – ihre Vermählung mit Guy, die Brautnacht, in der Rolfe sie genommen hatte, ihre Einkerkerung im Erdloch –, dass sie die angespannte kriegerische Lage ganz vergessen hatte. Ende August planten ihre Brüder eine Rebellion, in der Absicht, Rolfe zu besiegen und Wilhelm den Eroberer nach Süden und aus Mercia hinauszujagen. Die Rebellen erwarteten von ihrer Schwester wichtige Informationen. Gewiss, auch andere Spitzel trugen ihnen Nachrichten zu, aber keiner war so gut platziert wie Ceidre auf Aelfgar. Sie hatte versprochen, die Geliebte des Normannen zu werden, um an Informationen heranzukommen. Ihre Brüder bauten auf sie.
Sie durfte Edwin und Morcar nicht im Stich lassen.
Wieder schielte sie zum Normannen hinüber. Sie war eine hoffnungslos schlechte Verführerin, das hatte sie bewiesen. Sie hatte versucht, ihn zu verlocken, und er hatte sie mit seinem Vasallen verheiratet. Sie wusste nicht, ob er sie noch begehrte wie in der Brautnacht. Würde er seine Loyalität seinem Lehensmann gegenüber vergessen, wenn sie einen zweiten Versuch wagte? Andererseits hätte dieser Mann keine Skrupel, sie mit der Rechtfertigung zu nehmen, es sei sein Recht als Lehensherr – unter der Voraussetzung, er begehrte sie.
Ceidres Magen zog sich zusammen. Nun, da ihre eigenen Probleme in den Hintergrund gerückt waren, lastete eine schwere Verantwortung auf ihr. Wieder sah sie zum Normannen hinüber. Eins war klar: Untätigkeit war der sicherste Weg zu versagen. Sie musste es wenigstens versuchen.
Er begegnete ihrem Blick.
Einen kurzen Moment verharrte Ceidre im Bann seiner glühenden Augen. Dann senkte sie die Lider und wusste, was zu tun war.
Letzte Nacht hatte er kein Auge zugetan, sich ruhelos hin und her gewälzt, bestürmt von Schreckensbildern, die ihn verfolgten, seit er Ceidre aus dem Kerker befreit hatte, als er fürchtete, das Grauen habe ihren Geist umnachtet.
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