Der Eroberer
Stunde vor dem Morgengrauen. Morcar kroch neben dem Bruder.
»Zeit zum Aufbruch«, sagte Edwin mit fester Stimme.
Morcar lächelte, seine Augen funkelten vor Begeisterung. Die Brüder umfingen einander in einer festem Umarmung. Als Edwin sich löste, grinste Morcar. »Bald ist es soweit«, flüsterte er. »Wo ist Albie?«
»Hier«, ertönte seine Stimme, und Albie kroch aus dem Gebüsch.
Edwin schlug den beiden auf den Rücken. »Gott mit euch!« flüsterte er.
Morcar ergriff seine Hand. »Auf zum Sieg!« Damit war er fort, rannte über das offene Feld, dicht gefolgt von Albie. Die beiden waren bald von der schwarzen Nacht verschluckt.
Am Burggraben reichte Albie Morcar das Ende einer Strickleiter. Morcar watete ins kalte Wasser, verzog das Gesicht, ehe er eintauchte und ans andere Ufer schwamm. Drüben angekommen, befestigte er das Ende der Strickleiter an einer aus der Mauer ragenden Holzplanke. Zwanzig Minuten später hatten bereits ein Dutzend Sachsen den Burggraben überquert.
Als die Hälfte der Krieger an der Burgmauer angekommen war, begann der Himmel im Osten lichter zu werden.
Morcar versammelte seine Männer um sich. »Wo ist Albie?« fragte er und blickte sich suchend nach dem Gefährten um.
Niemand wusste, wo er steckte, und Morcar durchrieselte eine unbestimmte Beklommenheit. Er durfte nicht länger zögern. Vor dem Morgengrauen mussten die Männer innerhalb der Burgmauer sein. »Los!« befahl er und zückte das Schwert.
Die Tür war offen, und Morcar lächelte; er würde Beth dafür auf seine bewährte Weise danken. Er schlüpfte als erster hindurch. Doch er hatte noch keine vier Schritte in den Burghof getan, als er eine Klinge aufblitzen sah. Aber es war bereits zu spät.
Mit gezücktem Schwert ging er auf seinen Angreifer los und spürte, wie eine Klinge sich in seine Seite bohrte.
Plötzlich erhob sich ohrenbetäubender Lärm, als Normannen aus allen Winkeln heranstürmten und sich auf die Sachsen stürzten. Morcars Klinge stach in weiches Fleisch. Und ein Wort, schärfer als jede Schwertklinge, durchschnitt seinen Verstand – Verrat. Man hat uns verraten.
Edwin kämpfte mitten im Getümmel im inneren Burghof. Um ihn herum herrschten Tod und Verderben. Überall lagen hingeschlachtete Sachsen, doch immer noch hielten sich ein gutes Dutzend und kämpften um ihr Leben.
Auch Edwin wusste, dass sie verraten worden waren.
Er stieß einem Feind die Klinge mitten ins Herz und im nächsten Moment durchzuckte ein brennender Schmerz seine Hüfte. Er fuhr herum, stellte sich einem neuen Angreifer, grimmig und verbissen. Und er erkannte ihn, Guy von Chante -Ceidres Gemahl.
Edwin parierte Schlag um Schlag, geschickt und kraftvoll. Guy war über und über mit Blut besudelt, nicht anders als Edwin selbst. Ihre Klingen schlugen klirrend aneinander. Guy war erschöpft und blutete aus einer Schulterwunde. Beim nächsten Hieb von Edwins Schwert taumelte der Normanne gegen die Mauer. Edwin zögerte nicht und schlitzte ihm den Bauch auf.
Er wartete nicht, bis Guy röchelnd zu Boden sank, sondern wandte sich sofort wieder dem Kampfgeschehen zu.
Sein Blick irrte suchend umher, er konnte den Bruder nirgends entdecken.
Sie mussten fliehen, solange es noch möglich war. Dieser Kampf war verloren, aber es gab Hoffnung auf eine nächste Rebellion, Hoffnung auf einen späteren Sieg. Die Stiege zum Burgturm, in dem seine Schwester eingesperrt war, war nicht weit.
Es war zu gefährlich, sie zu befreien.
Rolfe hielt keuchend inne, das bluttriefende Schwert in der Faust. Er selbst war unverletzt. Der Kampf war nahezu ausgefochten, dachte er und ließ den Blick über den Burghof schweifen. Seine Männer trugen den Sieg davon, brachten die letzten kämpfenden Sachsen in arge Bedrängnis. Überall lagen abgeschlachtete Feinde herum, unter den Gefallenen waren auch einige seiner eigenen Leute. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, dass er nur geringe Verluste erlitten hatte, ohne deshalb Triumph zu verspüren. Er war zu sehr im Kampffieber, zu angespannt.
Wo aber waren die Anführer, wo waren Edwin und Morcar?
Sein Blick flog zum Turm hinauf, wo Ceidre eingesperrt war. Sie war in Sicherheit, kein Sachse war in die Burg eingedrungen. Er glaubte sogar, sie hinter einer engen Schießscharte zu erkennen, und zwang sich, den Blick zu wenden. Er festigte den Griff um sein Schwert und machte sich auf die Suche nach den Rebellenführern.
Er suchte unter den Toten und Sterbenden, unter den wenigen, die noch
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