Der erotische Fremde
war.
Fluchend griff Harry nach ihrem Arm. Jetzt wehrte sie sich wieder, keuchend und um sich schlagend.
Endlich hielt er ihre beiden Hände fest in seiner. Mit der anderen Hand verschloss er ihr wieder den Mund, während er mit seinem Körper ihre Beine festhielt.
„Ich werde dir nicht wehtun, aber ich werde dich entwaffnen, Mariel", sagte er grimmig entschlossen. „Wenn du dich nicht wehrst, lass ich dich los, sobald ich dein Messer habe."
Er nahm die Hand von ihrem Mund. Sie keuchte verzweifelt wie ein Tier auf der Flucht. Er musste sein Herz mit aller Kraft gegen den Impuls verschließen, sie freizugeben und zu trösten.
„Nicht", flehte sie, als er von neuem ihren Unterschenkel betastete. „Tu das nicht."
„Aber ich muss deine Waffe haben."
„Waffe?" rief sie keuchend. „Messer? Wovon redest du?"
„Du hast gerade die Hand danach ausgestreckt", erwiderte er. „Jetzt gib es mir, dann wird dir nichts geschehen."
Der Ton seiner Stimme beruhigte sie ein wenig. „Du meinst, ich habe ein Messer?'"
„Was es auch sein mag, was du an deinem Bein hast. Ich will es haben."
„Du leidest wohl unter Verfolgungswahn. Warum sollte ich dich töten wollen, Harry? Oder denkst du dir nur einen Vorwand aus, weil du mich töten willst?"
Forschend strich er mit der Hand über ihren Unterschenkel, bis hinauf zum Knie, ab dort wurden die Hosenbeine zu eng. Dann tastete er ihr anderes Bein auf dieselbe Weise ab, schließlich tastete er auch noch über das Gras links und rechts von ihr. Endlich gab er sie frei.
Eine Woge der Erleichterung überwältigte sie fast. Sie wusste nicht, ob sie lachen, weinen oder ihn anschreien sollte. Schwer atmend setzten sie sich beide auf.
„Tut mir Leid", sagte er. „Aber du hast unter dein Hosenbein gegriffen."
„Ich wollte verhindern, dass mich eine Steckmücke beißt!"
„Eine Stechmücke?" rief Harry ungläubig.
Mariel schob das Hosenbein hoch und kratzte sich wütend. „Jetzt hat mich das Biest natürlich erwischt, dank dir! Dabei bekomme ich immer riesige Schwellungen. Das hier wird bis mor gen so groß wie ein Zweieurostück sein."
Harry ließ sich auf den Rücken fallen und lachte. Erbost starrte sie auf ihn herab. Seine Zähne blitzten weiß in der Dunkelheit. Das Mondlicht schimmerte in seinen Augen.
„Ich dachte, du wolltest mich umbringen, du dachtest, ich wollte dich umbringen. Wir haben uns gegenseitig fast umgebracht, und das alles nur wegen einer Stechmücke? Das gibt es doch nicht!"
„Dann werde ich dich wohl jedes Mal warnen müssen, wenn ich mich irgendwo kratzen will." Mariel versuchte, zornig zu bleiben. Unmöglich, Harrys Lachen war zu ansteckend.
„Achtung, Harry, ich kratze mich", sagte sie mit gespielt hoher Stimme und dann mit verstellter tiefer Stimme: „Moment, ich rufe meine Bodyguards."
Er brüllte vor Lachen. Sie ließ sich neben ihn ins Gras fallen und stimmte in sein Gelächter ein.
Gemeinsam ließen sie jeder die Anspannung von sich abfallen. Gelöst lagen sie dann still da und genossen das Gefühl einer tiefen Verbundenheit. Ihr gegenseitiges Misstrauen hatte sie am Ende einander näher gebracht.
Der Mond trat hinter einem Berggipfel hervor und tauchte alles in ein matt silbriges Licht. Bis auf das Plätschern des Flusses und den Ruf eines Käuzchens war es ganz still.
„Lass uns jetzt schlafen", sagte er. „Die Sonne wird uns früh wecken."
10. KAPITEL
Als Mariel erwachte, war sie allein. Vögel zwitscherten in den Bäumen, das erste Sonnenlicht fiel durch die Zweige. Sie setzte sich auf. Das Gras war feucht vom Tau, und sie fror ein wenig.
Von Harry war weit und breit nichts zu sehen. Er hatte wohl beschlossen, allein weiterzugehen. Das war wahrscheinlich auch besser so, trotzdem fühlte sie sich allein gelassen und enttäuscht. Mariel überlegte. Er hatte ihr die Tüte mit dem Proviant dagelassen. Sie würde etwas essen und danach per Anhalter in den nächsten Ort fahren. Dort würde sie betteln müssen, um telefonieren zu können. Dann würde sie versuchen, ihren Vater zu erreichen. Ihr Vater würde ihr helfen können.
Mariel öffnete die Provianttüte und hielt im nächsten Moment inne. Ihre Bluse hatte jetzt auch noch Grasflecken, und ihre Hände waren verschmiert und erdverkrustet. Sie musste sich waschen. Rasch kickte sie ihre Schuhe fort, zog die Jeans aus und ging hinab an den Fluss. Aber er war hier ziemlich reißend und voller Felsbrocken. Sie ging flussaufwärts, um eine seichtere Stelle zu suchen.
Kurz nach
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