Der erotische Fremde
Zeitschrift gelesen, nicht wahr?"
Er blickte sie kurz an, erwiderte jedoch nichts. Sie wollte weiterfragen, aber er blickte zum Himmel und sagte: „Die Sonne wird bald untergehen. Wir müssen uns überlegen, wo wir die Nacht verbringen wollen!"
„Hier in der Stadt?"
„Es ist zu gefährlich, längere Zeit am selben Ort zu bleiben. Wenn wir per Anhalter hinaus aufs Land fahren, finden wir vielleicht etwas Gemütlicheres als eine Ladeneingangspassage. Was meinst du?"
Mariel hatte das Gefühl, sie würde das Vagabundenleben mit ihm mehr genießen als Luxus und teure Restaurants mit anderen Männern. Sie lächelte. Besonders jetzt, wo sie nicht mehr allzu hungrig war.
„Wir haben ja eine Flasche Wein und ein Baguette", sagte sie leichthin. „Also lass uns auf Wanderschaft gehen."
Viele Autos fuhren in ihre Richtung. Doch niemand hatte Lust, ein paar Anhalter mitzunehmen.
Irgendwann saßen sie endlich auf der Ladefläche eines Kleinlasters zwischen leeren Traubenkörben.
Ein schwarzweißer Hund leistete ihnen Gesellschaft. Die Straße führte durch eine herrliche, bewaldete Hügellandschaft aufwärts, bis sie plötzlich von einer Anhöhe in ein paradiesisches Tal hinabblickten.
Die Luft war frisch und würzig, die letzten Sonnenstrahlen ließen die Baumspitzen golden glänzen.
Ein Fluss wand sich glitzernd durch das Tal.
Mariel lehnte sich an die Rückwand des Führerhauses und seufzte wohlig. Konnte das Leben schöner sein als in diesem Augenblick? Im nächsten Moment wurde sie eines Besseren belehrt. Harry legte nämlich den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich, so dass ihr Kopf an seiner Schulter zu liegen kam.
„Das hier ist ein sehr schöner Teil des Planeten", murmelte er.
Vollkommener Frieden schien über dem Land zu liegen. Mariel hätte nicht sagen können, wie lange sie so gefahren waren, als der Wagen schließlich vor der Einfahrt eines Weingutes zum Stehen kam.
„Ich muss jetzt hier abbiegen", erklärte der Fahrer. „Wenn Sie die Straße hier weitermarschieren, kommen Sie zu einer größeren, die nach Grenoble führt."
Die Schatten waren schon sehr lang. Auf der rechten Seite fiel das Land steil zu dem Tal hin ab. Auf dieser engen Gebirgsstraße waren kaum Autos unterwegs. Also gingen sie zu Fuß weiter. In der Ferne hörten sie Geräusche von landwirtschaftlichen Maschinen, irgendwo bellte ein Hund.
Mariel wurde nachdenklich. Sie hatte im Lauf der letzten vierundzwanzig Stunden so viele Storys von Harry gehört. Er sei Fassadenkletterer, hatte er gesagt, dann Manager einer Rockband. Er hatte erzählt, er sei auf der Suche nach einem gestohlenen Familienerbstück. Später hatte er behauptet, der Enkel eines Sultans zu sein, und schließlich ein Revolutionär. Sie fragte sich, ob er selbst noch wusste, was der Wirklichkeit entsprach. Es gab Leute, die sich ihre eigene Wahrheit schufen und darin lebten.
Auf jeden Fall war er ein Lebenskünstler. Obwohl sie keinen Cent besaßen, hatten sie sich an diesem Tag zwei Mal satt gegessen. Ganz offensichtlich war sie nicht die einzige Person, die von ihm völlig fasziniert war.
Sie hatte davon gehört, dass Betrüger auf diese Weise arbeiteten - sie entwickelten einen solchen Charme, dass ihre Opfer selbst im Nachhinein nicht glauben wollten, dass sie übers Ohr gehauen worden waren. Jetzt konnte sie sich das ohne weiteres vorstellen.
Dieses wundervolle Apartment mitten in Paris an der Seine bewies leider gar nichts. Eine exklusive Adresse war häufig die Basis für betrügerische Machenschaften. Harry hatte ihr, wenn er seine Geschichten zum Besten gab, immer wieder einen prüfenden Blick zugeworfen. Das war schon irgendwie verdächtig, oder? Sie sollte auf der Hut sein, bis sie mehr über ihn wusste. Sie durfte sich von seinem Charme nicht einwickeln lassen.
„Warum so ein schwerer Seufzer?" fragte Harry lächelnd.
Mariel schüttelte nur den Kopf.
Er entdeckte einen schmalen Pfad zwischen den Bäumen. „Lass uns hier entlanggehen und uns ein halbwegs gemütliches Plätzchen suchen, solange noch genug Licht da ist", schlug er vor und ging voraus.
Für Mariel wäre es das erste Mal, dass sie unter freiem Himmel übernachten würde. Aber mit Harry als Begleitung schien es ir gendwie ganz normal zu sein. Sie blickte zum Himmel. Der war sternenklar, aber es schien eine milde Nacht zu werden.
Harry ging jetzt hinter Mariel auf dem schmalen Pfad und folgte mit dem Blick dem Schwung ihrer Hüften. Nun, da er die Verfolgung Ramiz Bahramis
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