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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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beleidigt.
    »Erst sollen wir dir alles über Männer beibringen, und sobald einer angebissen hat, gelten alte Freundinnen nichtsmehr.« Inge hängte sich vertraulich bei Ilse ein. »Frauen sind undankbare Geschöpfe, nicht wahr, Liebste?«
    Anne war die Situation unangenehm und sie ärgerte sich. Immer, wenn sie sich auf die Zukunft konzentrieren wollte, kam ihr etwas aus der Vergangenheit dazwischen. Die letzten Wochen hatte sie unter Einsatz all ihrer Hartnäckigkeit verhindern können, dass Leopolds Wohnung in der Barer Straße mit Flüchtlingen belegt wurde. Das war sie ihm schuldig gewesen. Aber das musste nun endlich aufhören. Sie fuhr sich im Nacken über die rotblonden Haare, die sie inzwischen streichholzkurz trug.
    »Du hast völlig Recht, allerbeste Freundin«, sagte Ilse, »es gibt nichts Undankbareres als eine Schlange stehende Frau. Sie vergisst dabei alles, selbst ihren Mann. Apropos Mann. Was ist aus dem Kerl in der weißen Uniform geworden? Ist er wieder aufgetaucht?« Bevor Anne antworten konnte, plapperte Ilse schon weiter: »Hätten wir gewusst, dass du so viel Geschmack hast,« – »und so bedürftig bist«, warf Inge ein – »hätten wir natürlich nach etwas Nahrhafterem als einem Colonel gesucht. Einem, der nicht gleich absäuft!« Sie kniff Anne in die Backe.
    »Man ist so entsetzlich ausgehungert nach den Jahren der Entbehrungen, dass man sich auf jeden stürzen würde, nicht wahr?«, wandte sich Inge an die aufmerksam lauschende Frau vor Anne. Diese fixierte die drei mit einer Mischung aus Faszination und Verachtung.
    »Wir haben uns nach der Schwimmbadsaison auf den Bürgerbräukeller verlegt«, sprudelte es abwechselnd aus ihnen heraus, ohne darauf zu achten, dass Anne zwei Schritte zurückgewichen war. »Der allseits beliebte Bürgerbräukeller dient nun als Kantine für die Amis. Den Eingang bewachen zwei mit Maschinengewehr und der unfreundlichsten Miene, die man sich vorstellen kann, damit die bösen Geister nichtzurückkommen. Sie schauen fast so grimmig wie du!« Sie hielten sich gegenseitig die grienenden Münder zu. »Und, wo steckt nun der schöne Mann aus dem Schwimmbad?«
    »Mit dem ist es vorbei.«
    »Dann war es etwas Ernstes«, folgerte Inge. Mitfühlend strich sie ihr über die Wange.
    »Ich habe ihn seit drei Wochen nicht mehr gesehen. Martin heißt er. Aber nicht einmal das ist sicher.«
    »Drei Wochen!«, platzten beide gleichzeitig heraus, »du musst unglaubliche Qualen ausstehen!« Sie kicherten erneut, verstummten aber, als sie Annes geballte Fäuste sahen.
    »Irgendwann kommt er zurück, der Lügner. Dann wird abgerechnet«, erklärte Anne.
    »Wenn er ein Lügner ist, kommt er nicht zurück«, sagte Inge mit einem Ernst, der selbst Ilse erstaunte.
    »Entweder er hat mich angelogen oder es muss ihn doppelt geben. Ich weiß nicht, ob ich einen Helden oder einen Verbrecher in meine Wohnung gelassen habe.«
    »Er wäre nicht der Erste, bei dem das keinen Unterschied macht«, murmelte Inge. »Wir haben dir doch bereits erklärt, dass es fast unmöglich ist, sie am Äußeren unterscheiden zu können. Und wenn es nun auch die Vergangenheit betrifft … Heute reden alle anders als vor einem halben Jahr. Die Helden von damals sind die Verbrecher von heute. Die Zeiten ändern sich eben. Und die Ansichten der Leute gleich mit. Also ist es besser, nicht daran zu rühren.«
    »Wenn ich dich so anschaue«, erklärte Ilse nüchtern, »besteht das Problem darin, dass du dich in ihn verliebt hast.«
    »Du bist ja verrückt«, fuhr Anne sie an, »nie würde ich mich in einen verlieben, der nicht die Wahrheit sagt.«
    »Ach, die Wahrheit!« Ilse deutete mit einer ausladenden Geste auf die lange Reihe der wartenden Frauen. Sie griff sich ins Haar, zog einen Lockenwickler heraus und steckte ihn indie Tasche der mit bunten Flicken besetzten Schürze. »Wenn das hier die Wahrheit ist, kann sie mir gestohlen bleiben. Sich im Oktober um sechs Uhr früh anzustellen, um den Winter über den Schutt anderer Leute wegzuschaufeln, wenn das die Wahrheit ist …«
    Inge schnaubte. »Kennst du das Märchen vom Kaiser ohne Kleider? Das ist auch ein sogenannter Lügner. Eine Zeitlang macht es Spaß, sich über ihn zu amüsieren.« Sie warf sich in Positur und stemmte eine Hand in die Hüfte. »Der Kaiser soll meinetwegen nackich durch den Tiergarten laufen, so lange ich ins KaDe We stolzieren und mir Strümpfe und ein passendes Kleid und einen bonbonfarbenen Hut kaufen kann. Aber wenn das KaDe We

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